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Genom-Editierung Wird die Schweiz neuste Gentechniken zulassen oder verbieten?

Bis spätestens 2024 muss der Bundesrat aufzeigen, wie neue Züchtungsmethoden bei Kulturpflanzen reguliert werden sollen.

Etienne Bucher züchtet an der Eidgenössischen Forschungsanstalt Agroscope in Changins Reispflanzen, die mit neuster Gentechnik robuster gegen Hitze und Trockenheit gemacht werden. Für den Leiter Genomdynamik sind die sogenannten neuen Gentechniken, kurz NGT, mit deren Hilfe das Pflanzen-Genom (Erbgut) gezielt verändert werden kann, zukunftsweisend.

Einerseits könne man damit das komplette Erbgut einer Pflanze anschauen. Andererseits liessen sich mit Genom-Editierung spezifische Gene an- und abstellen: «Wenn man die zwei Technologien kombiniert, kann die Zucht massiv beschleunigt werden.»

Genom-Editierung

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Mit der Genom-Editierung kann Erbgut zielgerichtet verändert werden. Die bekannteste Methode dazu ist die Genschere CRISPR/Cas: Sie kann DNA durchtrennen und einzelne oder mehrere DNA-Bausteine im Erbgut einfügen, modifizieren oder entfernen.

Die französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier und die US-amerikanische Biochemikerin Jennifer Doudna erhielten 2020 den Chemie-Nobelpreis für die Entwicklung der Genschere CRISPR/Cas.

Das sei beispielsweise wegen des Klimawandels dringend nötig, sagt Etienne Bucher. In der Schweiz können NGT derzeit nur im Labor wachsen, weil die Pflanzen als gentechnisch veränderte Organismen gelten. Darum werden die Agroscope-Reispflanzen in Taiwan im Feld getestet.

Test-Feld mit Reispflanzen
Legende: Reispflanzen, die an der Eidgenössischen Forschungsanstalt Agroscope in Changins mit Gentechnik robuster gegen Hitze und Trockenheit gemacht wurden, werden in Taiwan im Feld getestet. Agroscope/ Etienne Bucher

Aktuell werden genveränderte Organismen vom «Bundesgesetz über die Gentechnik im Aussenhumanbereich» so definiert (Art. 5 Absatz 2): «Gentechnisch veränderte Organismen sind Organismen, deren genetisches Material so verändert worden ist, wie dies unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzen oder natürliche Rekombination nicht vorkommt.»

Die Forschung argumentiert nun, dass das bei Genom-editierten Pflanzen nicht der Fall sei, weil sie auch auf natürlichem Weg entstehen könnten, da sie keine transgene DNA, also Erbgut einer anderen Art, enthalten. Beispielsweise wenn ein Gen eines Wildapfels, der gegen eine Krankheit resistent ist, einem Kulturapfel beigefügt wird, der diesen robuster mache, sei dies ein Vorgang, der auch in der Natur vorkommen könne.

Weltkarte, die zeigt, wo überall genom-editierte Kulturpflanzen als genveränderte Organismen gelten und wo nicht.
Legende: In der Schweiz und in Europa gelten Genom-editierte Pflanzen zurzeit als genveränderte Organismen. In den USA, verschiedenen südamerikanischen Ländern und Australien fallen sie dagegen nicht unter die gesetzliche Regulierung als genveränderte Organismen. Task Force on Sustainable Agriculture and Innovation

Für Monika Messmer, Stellvertretende Leiterin Departement für Nutzpflanzenwissenschaften am Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL in Frick, ist Genom-Editierung kein Thema, weil sowohl Bio-Konsumentinnen als auch Bio-Produzenten Gentechnik und gentechnisch veränderte Pflanzen ablehnten. Genom-Editierung werde überbewertet und sei ein ziemlicher Hype.

Das FiBL verfolge andere Ansätze, sagt sie: «Wir versuchen, mehr im System zu züchten und zu verstehen, wie die Pflanze in ihrer Umwelt interagiert.» Etwa mit Pflanzen in der Umgebung oder mit Mikroorganismen im Boden. Sie befürchtet, dass Genom-Editierung dazu beitrage, eine ohnehin nicht nachhaltige Landwirtschaft weiterzuführen, statt umzudenken.

Das tatsächliche Risiko, das die Pflanzen darstellen, kennt man heute noch nicht.
Autor: Urs Brändli Präsident Bio Suisse

Zweifel an der Präzision der NGT meldet auch Urs Brändli, Präsident von Bio-Suisse, an. Er befürchtet Nebeneffekte: «Das tatsächliche Risiko, das die Pflanzen darstellen, kennt man heute noch nicht.» Forschung und Wissenschaft sollten weiter daran arbeiten, sagt Urs Brändli: «Aber heute ist nicht der Moment, grosse Hoffnungen in die neuen Züchtungstechnologien zu haben.»

Ergänzung zu konventioneller Züchtung

Etienne Bucher von Agroscope sieht Genom-Editierung als Ergänzung zu konventioneller Züchtung: «Auf weniger Platz könnte mehr produziert werden mit neuen Zuchtmethoden, also mit Intensivierung. Dadurch würde man Land frei lassen für Biodiversität. Am Schluss hat man einen positiven Effekt für die Biodiversität.»

Wie weiter mit dem Gentech-Moratorium?

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2021 hat das Parlament das Gentech-Moratorium bis 2025 verlängert. Nun geht es darum, zu entscheiden, ob der Anbau gentechnisch veränderter Organismen weitere vier Jahre verboten werden soll. Zudem muss festgelegt werden, ob Kulturpflanzen, die mit neuen Gentechniken NGT verändert wurden, denen also kein transgenes Erbmaterial beigefügt wurde, künftig weiterhin als GVO, als gentechnisch veränderte Organismen gelten oder eben nicht.

Laut dem Bundesamt für Umwelt BAFU, wird der Bundesrat voraussichtlich im ersten Quartal 2023 über den Bericht zur Regulierung der neuen Gentechnik-Verfahren befinden. Dieser Bericht wird vom BAFU und dem Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung BWL als Antwort auf drei Postulate verfasst: «Kriterien für die Anwendung des Gentechnikrechts?», 20.4211 Chevalley , «GVO-Moratorium: Die richtigen Informationen für die richtigen Entscheidungen», 21.3980 WBK-N , «Züchtungsverfahren mittels Genome Editing», 21.4345 WBK-S

Bis spätestens 2024 wird der Bundesrat dem Parlament eine Botschaft unterbreiten.

Wie auch immer die Schweiz entscheidet: Genom-Editierung ist auf dem Vormarsch: China hat bereits 362 Genom-editierte Pflanzen in einer internationalen Datenbank (Eusage) erfasst. Die USA folgen mit 145 Einträgen. Diverse andere Länder stehen in den Startlöchern.

10vor10, 25.01.2023, 21:50 Uhr

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