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Adrian Ruprecht: «Der Schweizer Detailhandel ist unter Druck»
Aus Tagesgespräch vom 11.10.2023. Bild: Mario Vedder/dapd
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Handel im Wandel Vom Tauschgeschäft zum Onlineshopping

Der Detailhandel hat in den letzten Jahrzehnten einen rasanten Wandel hingelegt. Bringt der Onlinemarkt jetzt die Krise?

Nach dem Feierabend schnell und unkompliziert das Abendessen einkaufen gehen: ein Luxus, der dank des Detailhandels zur Normalität geworden ist. Die rund 49'000 Filialen des Schweizer Detailhandels sind das Bindeglied zwischen der Industrie und den Konsumierenden. Eine enorme Erleichterung für unser aller Alltag.

Der Detailhandel ist eine Branche mit einer langen Tradition, aber er ist stetig im Wandel. Historikerinnen und Historiker sind sich einig: Der Kleinhandel ist für das Überleben und die Entwicklung unserer Gesellschaft von entscheidender Bedeutung.

Von der Ladentheke zur Selbstbedienung

Die Geschichte des Einzelhandels geht bis in die Antike zurück. Zu dieser Zeit bestand der Handel hauptsächlich aus lokalen Märkten und Tauschgeschäften. Der Marktplatz war vielerorts eine zentrale Begegnungszone. Händlerinnen und Händler verkauften ihre Waren periodisch, sei es wöchentlich auf dem Wochenmarkt oder einmal im Jahr auf dem Herbstmarkt. Mit der Etablierung des Ladens wurde der Zugang zu den Produkten für die Konsumentinnen und Konsumenten erleichtert. Die Kundschaft konnte nun an mehreren Tagen in der Woche auf das Sortiment zugreifen.

Einen entscheiden Meilenstein erreichte der Schweizer Detailhandel in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In Zürich, Genf, Bern und anderen Städten wurden die ersten Warenhäuser eröffnet. Ob in den kleinen Läden oder in den grossen Warenhäusern, Verkäuferinnen bedienten die Kundschaft. Die Kundinnen und Kunden standen Schlange, um dem Personal an der Ladentheke ihre Wünsche mitzuteilen.

«Früher wäre es unvorstellbar gewesen, dass eine Kundin ein Paar Schuhe aus dem Regal nimmt und diese selbständig anprobiert», sagt Adrian Ruprecht. Er ist Detailhandelsexperte und seit über zehn Jahren Rektor der Berufsfachschule des Detailhandels Bern. Das Prinzip der Selbstbedienung war hierzulande nahezu unbekannt. Die Idee stammt aus den USA und wurde Anfang der 1970er-Jahre von einem der grössten Einzelhandelsunternehmen in der Schweiz eingeführt.

Sinnliche Reize sind das A und O. Die gibt es im Onlinehandel nicht.
Autor: Adrian Ruprecht Detailhandelsexperte

Die Entwicklung von der Bedienung an der Ladentheke bis zur Selbstbedienung an den Regalen in den Läden ist von zentraler Bedeutung: «Hätte sich das nicht durchgesetzt, wäre selbständiges Onlineshopping heute undenkbar», so Ruprecht.

Bringt der Onlinehandel die grosse Krise?

Zur gleichen Zeit, als sich die Selbstbedienung im Schweizer Detailhandel etablierte, wurde in den USA an einem Projekt gearbeitet, das die Welt revolutionieren sollte: das Internet. Der Durchbruch gelang in den 1990er-Jahren. Auch in der Schweiz veränderte der Internetboom Mitte der 1990er-Jahre verschiedenste Bereiche, unter anderem entstand der Onlinehandel.

Dieser stellt eine existenzielle Herausforderung für den Detailhandel dar. Das Internet ermöglicht den Zugang zu einer breiten Produktpalette zu oft konkurrenzfähigeren Preisen – und dies bequem vom heimischen Wohnzimmer aus. Nicht alle Geschäfte sind gleichermassen betroffen. «Es ist wichtig zu betonen, dass es den Detailhandel als solchen nicht gibt», sagt Ruprecht.

Der Detailhandel sei eine Branche mit einer enormen Vielfalt. Von einer generellen Krise in dieser Branche zu sprechen, würde der aktuellen Situation nicht gerecht werden. «Es gibt Unternehmen, die existenzielle Schwierigkeiten haben. Es gibt aber auch Betriebe, die wachsen, weil sie den Nerv der Zeit treffen.»

Der Onlinehandel sei eine Ergänzung und keine direkte Konkurrenz. Laut Ruprecht gibt es Bedürfnisse, die durch den Einkauf im Internet nicht befriedigt werden können. «Sinnliche Reize sind das A und O. Die gibt es im Onlinehandel nicht.» Den Stoff eines Kleides berühren, den Duft eines frischen Brotes oder eines Blumenstrausses riechen – all diese Wahrnehmungen würden beim Onlineshopping fehlen.

Personal gesucht

Nicht nur der Verkauf über das Internet ist eine Herausforderung. Wie in fast allen Branchen fehlt es auch im Einzelhandel an Arbeitskräften. Im Detailhandel sind derzeit insgesamt 12’000 Stellen ausgeschrieben. Für Detailhandelsexperte Adrian Ruprecht ist klar: «Das Gehalt spielt sicher eine wichtige Rolle».

Der Detailhandel gehört zu den Branchen mit niedrigem Lohnniveau. Gemäss Bundesamt für Statistik lag der Durchschnittslohn 2020 bei knapp 5000 Franken. Dieser Wert liegt deutlich unter dem Lohnniveau von anderen grossen Wirtschaftsbranchen. «Anspruchsvolle Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne können zu einer hohen Unzufriedenheit und einer daraus resultierenden Fluktuation der Mitarbeitenden führen», so Adrian Ruprecht.

Duales Bildungssystem als Schweizer Erfolgsmodell

Die dreijährige Grundbildung zur Detailhandelsfachfrau oder zum Detailhandelsfachmann gehört dennoch zu den beliebtesten Grundbildungen der Schweiz. Zehn Prozent aller Lehrstellen der Schweizer Wirtschaft stemmt der Detailhandel.

Der Erfolg liegt in der Dualität: Lehrbetrieb und Berufsfachschule ergänzen sich. Es ist nicht Theorie oder Praxis. Es ist eine Kombination von beidem. Betreut werden die Lernenden am Arbeitsort jeweils von Berufsbildnerinnen und Berufsbildnern. Sie sind zuständig für die praktische Ausbildung der Lernenden im Lehrbetrieb.

Emanzipation als «Ladentochter»

Die Wurzeln der Berufsbildung im Verkauf reichen rund 100 Jahre zurück. Anfangs war es ein reiner Frauenberuf. Beispielsweise wurde in Bern 1921 eine der ersten Berufsschulen des Detailhandels unter dem Namen «Verkäuferinnenschule für Ladentöchter» gegründet. «Es war ein Fortschritt, jungen Frauen eine zusätzliche schulische Ausbildung anzubieten», betont der heutige Rektor Adrian Ruprecht. «Früher haben die Männer eine Ausbildung absolviert oder studiert. Frauen hatten das langfristige Ziel, eine Familie zu gründen und sich aus dem Berufsleben zurückzuziehen.»

schwarzweiss-Foto ener Frau mit Dauerwelle, rechts, an Kasse, Hand auf Kasse gestützt, links Band.
Legende: Für viele Frauen bot sich mit der Ausbildung zur Verkäuferin ein Einstieg ins Berufsleben (Bild: 1987). KEYSTONE/Str

Die Berufsausbildung zur «Ladentochter» war ein Akt der Emanzipation. Erst 1965 wurden auch Männer zur Ausbildung zugelassen. Heute arbeiten etwas mehr als 340'000 Menschen im Verkauf. Der Detailhandel ist damit nach dem Baugewerbe der zweitgrösste Arbeitgeber im Privatsektor in der Schweiz.

SRF 4 News, Tagesgespräch, 10.10.2023, 13:00 Uhr

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