Die US-Regierung darf zusätzliche Zölle auf Importe aus der EU erheben. Dieses Recht hat ihr die Welthandelsorganisation WTO zugesprochen – wegen unerlaubter EU-Subventionen für den Flugzeughersteller Airbus. Für den Fall, dass die USA tatsächlich zu diesem Mittel greifen, hat die EU bereits mögliche Vergeltungsmassnahmen angekündigt. Das sei nicht der richtige Weg, sagt Martin Braml, Aussenhandelsexperte des Münchner ifo-Instituts.
SRF News: Wird die EU mit Vergeltungsmassnahmen noch zuwarten?
Martin Braml: Das ist durchaus realistisch. Denn im vorliegenden Fall liegen die Dinge anders als bei den vorhergehenden Zöllen – etwa letztes Jahr bei jenen auf Stahl und Aluminium. Damals hatten die Amerikaner offensichtlich WTO-Recht gebrochen. Jetzt aber wurden die Zölle von der WTO autorisiert. Sie hat befunden, dass Europas Airbus-Subventionen illegal sind, deshalb sei den USA ein Schaden entstanden. Diesen dürfen die USA jetzt kompensieren. Es gibt also keinen Grund, wieso die EU jetzt zu Gegenzöllen greifen sollte.
Die EU beruft sich auf frühere WTO-Urteile, wonach sie Zölle hätte erheben dürfen, dies aber nicht getan hat...
Ja, aber da haben auch die USA noch weitere Möglichkeiten. Seit 20 Jahren streiten die EU und die USA im Rahmen der WTO über Themen wie hormonbehandeltes Rindfleisch, Bananen und anderes. Meist hat man darauf verzichtet, Zölle zu erheben. Denn solche sind in niemandes Interesse.
Was wäre das Worst-Case-Szenario?
Die USA haben angekündigt, dass sie Zölle auf europäische Autos einführen könnten, wenn bis November keine Einigung bei den Handelsgesprächen erzielt werden. Das wäre eine neue Qualität, eine Eskalation gar.
Die EU müsste auf die Verhängung von Autozöllen durch Washington reagieren.
Die Autoindustrie ist ein Herzstück der europäischen Industrie, die EU müsste solche Zölle ihrerseits mit Zöllen auf US-Produkten beantworten. Die EU sollte deshalb zuwarten bis Januar, dann wird das ausstehende Urteil der WTO zu ihrer Klage über unrechtmässige Subventionen von Boeing durch die USA erwartet. Dann wären die Gegenzölle der EU auf US-Produkte rechtmässig.
Könnten Autozölle zu einem weltweiten Wirtschaftseinbruch führen?
Da spielen viele Faktoren zusammen. So befinden sich die USA in einem zunehmenden Handelskrieg mit China, in der EU drohen Verwerfungen mit dem Austritt der Briten – und wenn dann noch Autozölle dazukommen, könnte das der Weltwirtschaft tatsächlich nachhaltig schaden.
Zölle, Vergeltungszölle – wer leidet unter dieser möglicherweise in Gang gesetzten Spirale stärker: die EU oder die USA?
Tendenziell hat die EU mehr zu verlieren, weil sie beim Güterhandel mit den USA einen deutlichen Exportüberschuss aufweist. Die USA können also mehr Produkte aus Europa mit Zöllen belegen, als das die Europäer mit amerikanischen Gütern können. Am Schluss aber würden in einem solchen Fall alle verlieren. Es wäre eine lose-lose-Situation.
Das Gespräch führte Denise Joder-Schmutz.
Sendebezug: SRF 4 News aktuell vom 4.10.2019