Künstliche Intelligenz – kurz KI – ist am World Economic Forum (WEF) in Davos eines der grossen Themen neben den geopolitischen Spannungen und der globalen Wirtschaftslage. An einer Reihe von Veranstaltungen diskutieren Top-Führungskräfte und Mitglieder der Politik das Potenzial der Technologie. Experten sind sich einig, dass KI-Systeme die Zukunft grundlegend verändern werden. Wann und wie genau das passiert, ist jedoch nicht klar.
«Die Technologie befindet sich immer noch in den Kinderschuhen», sagt der japanische Informatiker Hiroaki Kitano. Er leitet die KI-Forschung des Technologiekonzerns Sony und spricht am WEF über die neusten Entwicklungen.
Trotz beeindruckender Entwicklungen in den letzten Jahren sei KI noch weit von dem entfernt, was in Science-Fiction-Filmen gezeigt werde, sagt Kitano. «Ich glaube, wir werden diese grosse Lücke dereinst schliessen. Wir werden sie auf eine Art und Weise schliessen, die von Vorteil ist für die Menschen.»
KI gestaltet aus Ideen Bilder
Tatsächlich haben KI-Anwendungen in den vergangenen Jahren deutliche Fortschritte gemacht. Ein Beispiel ist die Erzeugung von Bildern. Vor ein paar Jahren generierte die Forschung mit ihren Algorithmen lediglich kleine, verpixelte Porträtfotos. Seit letztem Jahr kann jeder und jede am heimischen Computer mit der Software DALL-E 2 neue Szenerien, Welten und Gestalten kreieren mit Hilfe künstlicher Intelligenz.
Für Aufsehen sorgte 2022 auch ChatGPT, ein neuer und leistungsstarker Chatbot, der das Publikum verblüffte. Scheinbar jede Frage beantwortet die KI wohlformuliert und mit einem grossen Detailgrad – wenn auch nicht immer korrekt. Dabei wird der Text den Wünschen der Anwendenden angepasst.
Die KI-Systeme hinter DALL-E 2 und ChatGPT basieren auf maschinellem Lernen und wurden mit riesigen Datenmengen gefüttert und trainiert. Die erzeugten Texte etwa sind so überzeugend, dass Fachleute befürchten, dass ChatGPT für Plagiate an Schulen oder Universitäten missbraucht werden könnte.
Aus Sicht des Sony-KI-Chefs Kitano würden diese neuen Beispiele für KI-Anwendungen eindrücklich zeigen, was bereits möglich ist. «Die Leute sind jetzt so beeindruckt, weil sie nicht gedacht haben, dass es möglich ist, Bilder und Texte zu generieren», sagt er.
Kitano gibt aber zu bedenken, dass die Anwendungen noch nicht genug ausgereift seien und es Fehler gebe. «Mit weiterer Entwicklung und Verbesserung gibt es künftig noch spannendere Ideen, an die wir jetzt noch gar nicht denken», glaubt er.
Auch die Forschungsteams von Kitano tüfteln an neuen Algorithmen. Ein Beispiel ist «Sophy», eine KI für das Autorennspiel «Gran Turismo». Sophy wurde ohne jegliche Erfahrungen auf die virtuellen Rennstrecken geschickt und hat so lange geübt, bis sie die besten menschlichen Fahrer im Rennspiel schlagen konnte. Dabei betonen die Verantwortlichen, dass die KI gelernt habe, taktisch klug, aber auch fair Rennen zu fahren.
Mit weiterer Entwicklung gibt es künftig noch spannendere Ideen, an die wir jetzt noch gar nicht denken.
Kitano denkt aber nicht nur daran, was heute schon mit KI möglich gemacht werden kann, sondern auch daran, wie die Zukunft aussehen könnte. Er glaubt, dass es künstlicher Intelligenz bis 2050 möglich sein werde, autonom Forschung zu betreiben, die einen Nobelpreis gewinnen könnte. «Eine solche Maschine könnte uns helfen, neue Behandlungen für Krankheiten zu finden», sagt der Sony-KI-Chef. Um die Forschung einer solchen nobelpreisträchtigen KI zu fördern, hat Kitano mit dem «Alan Turing Institute» eine entsprechende Initiative gegründet.
Bis die Technologie aber so weit ist, brauche es noch eine Reihe von Durchbrüchen, sagt der britische Informatiker Stuart Russell, der im kalifornischen Berkeley zu künstlicher Intelligenz forscht. «Wir haben bis jetzt nicht, was man echte künstliche Intelligenz nennen könnte.» Russell meint Systeme, die nicht nur in begrenzten Anwendungsbereichen funktionieren. Beispielsweise kann ein Roboter zwar Steine zu einer Mauer aufschichten, aber nicht auch ein grosses Bauprojekt planen.
Weit weg sind die nötigen Durchbrüche jedoch nicht. «In ein paar Jahrzehnten haben wir künstliche Intelligenz auf menschlichem Niveau», glaubt Russell. Und dann könne es gefährlich werden. «Wenn man etwas kreiert, das mächtiger als Menschen ist, läuft man Gefahr, die Kontrolle darüber zu verlieren.»
Das Problem sieht Russell darin, dass KI-Systeme so programmiert sind, dass sie im übertragenen Sinn das Kind mit dem Bade ausschütten. Das heisst: Sie lösen ihre Aufgaben so beflissen, dass sie über ihr Ziel hinausschiessen. Ein Beispiel dafür sind die Algorithmen der sozialen Netzwerke: Zwar zeigen sie den Nutzerinnen und Nutzern an, was ihnen gefallen könnte, zeitgleich entstehen Echokammern, wo sich etwa radikale Meinungen verstärken.
Um solche Probleme zu verhindern, müsste KI grundsätzlich neu gedacht werden, sagt Russell. Sie sollten demnach so gebaut werden, dass die Systeme nicht wissen, was ihr eigentliches Ziel sei. «Sie wissen, dass sie den Menschen nützen müssen, aber sie wissen nicht, was das bedeutet», erklärt Russell. Dabei solle die KI respektvoll sein und stets Menschen um Erlaubnis fragen. «Es klingt unmöglich, aber es ist machbar.»
Vernichten Computer Jobs?
Mehr noch als eine übermächtige KI beschäftigen die möglichen Verwerfungen in der Arbeitswelt die Öffentlichkeit. Für Russell ist es eine ernstzunehmende Sorge, wenn Leute sich fürchten, wegen intelligenter Systeme ihren Job zu verlieren. Auch Kitano von Sony AI sieht zumindest kurzfristig Nachteile für Arbeitnehmende.
Doch langfristig hat KI in der Arbeitswelt auch grosse Chancen aus Sicht Kitanos. Menschen könnten von mühsamen und repetitiven Arbeiten befreit werden. «Es wird Veränderungen der Geschäftsmodelle und -prozesse geben. Menschen werden dann andere und hoffentlich kreativere und unverwechselbar menschliche Aufgaben erledigen», sagt er.