Der Caritas-Markt in Zürich, nicht weit vom Hauptbahnhof. Es ist ein kleiner Supermarkt, der aussieht wie viele andere. Morgens um 10 Uhr. Ein gutes Dutzend Kundinnen und Kunden sucht sich durch die Regale. Hier seien die Produkte zum Glück deutlich günstiger als in anderen Supermärkten, sagt ein älterer Herr und zeigt auf Flaschen mit Olivenöl: «4.80 in der Migros, 3.40 ist es hier.»
Doch auch im Caritas-Markt in Zürich sind gewisse Produkte in letzter Zeit teurer geworden – zum Beispiel Butter, stellt diese Frau fest. Zwar nur um 15 Rappen, doch: «Der Lohn bleibt gleich, die Sachen werden teurer.»
Unter den Kundinnen und Kunden des Caritas-Marktes sind auch einige, die Russisch oder Ukrainisch sprechen. Eine Frau beispielsweise, die mit ihrer Mutter eben erst aus der zerstörten Stadt Mariupol geflüchtet ist. Auf die Frage, ob sie die Preise hier als hoch empfinde, meint sie, immerhin könne sie hier etwas kaufen. In Mariupol habe es gar nichts mehr gegeben, keine Läden, keine Stadt. Aber sonst sei in der Ukraine schon auch alles viel teurer geworden in den letzten Wochen.
Der Schein trügt
Noch scheinen die Kundinnen und Kunden hier die Preissteigerungen nicht allzu stark zu spüren. Andreas Hediger, der Geschäftsleiter der unabhängigen Fachstelle für Sozialhilferecht UFS, die Sozialhilfebezügerinnen und -bezüger berät, betont: Das sei trügerisch.
Wenn noch Preissteigerungen, gerade im Energiesektor, dazukommen, dann hat das massive Konsequenzen
Die Leistungen der Sozialhilfe seien in den letzten Jahren stark reduziert worden: «Die Leute sind jetzt schon knapp unterwegs. Und wenn jetzt noch Preissteigerungen hinzukommen, gerade im Energiesektor, dann hat das massive Konsequenzen für diese Personen», so Hediger.
Ein Rattenschwanz mit Folgen
Preissteigerungen im Energiebereich bedeuten vor allem Nebenkosten fürs Heizen. Diese belasten die Haushaltsbudgets voraussichtlich erst im kommenden Jahr. Dann aber würden Menschen, die knapp bei Kasse sind, bei den Lebensmitteln sparen, befürchtet Annina Grob, die Co-Geschäftsleiterin von Avenir Social, dem Berufsverband Soziale Arbeit Schweiz.
«Wenn man bei Lebensmitteln spart, dann wählt man vielleicht auch weniger gesunde Lebensmittel. Das hat auch wieder langfristige Folgen für die Gesundheit. Ein ganzer Rattenschwanz wird generiert», sagt Grob. Dabei sei die Situation für viele heute schon prekär – auch für Menschen, die offiziell nicht als arm gelten.
Das betont auch Aline Masé, die Leiterin Sozialpolitik bei Caritas Schweiz. Caritas stelle in der Praxis fest: «Viele Leute, die zu uns in Caritas-Beratungen kommen, sind zwar knapp über dieser Grenze und haben keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Aber sie wissen nicht, wie sie am Ende des Monats ihre Rechnungen bezahlen sollen. Es geht schlicht nicht auf mit so wenig Geld.»
Die Caritas fordert deshalb, dass diese Armutsgrenze angehoben wird, damit auch diese Menschen – meist sind es Familien mit Kindern – Anspruch auf Unterstützung erhalten. Die Zahl der Unterstützungsbedürftigen ist laut einer neuen Studie der Caritas mehr als doppelt so hoch als die Zahl derjenigen Menschen, die heute als arm gelten. Die Auswirkungen der aktuellen und der absehbaren Preissteigerungen sind da noch gar nicht eingerechnet.