Deutschland: «Im Herbst, da brennt der Baum»
Korrespondentin Simone Fatzer: Die deutsche Regierung hat drei Entlastungspakete von insgesamt 95 Milliarden Euro aufgestellt. Darin enthalten sind etwa das 9-Euro-Ticket, Energiepauschalen, Erhöhung von Sozialhilfegeld oder eine Strompreisbremse. Bei einigem bleibt die Umsetzung unklar. Viele Unternehmen fühlen sich übergangen und verlangen staatliche Hilfe. Besonders laut protestieren die Bäcker. Sie können die gestiegenen Energiepreise nicht mehr stemmen. Die Sorge vor einer Insolvenzwelle und einer Deindustrialisierung macht sich breit.
Voll angekommen ist die Krise bei den Armutsbetroffenen. Geschichten über dramatische Fälle häufen sich, aber die Mehrheit wartet gespannt auf die Energiepreisabrechnung im Oktober. Der Chef einer Hilfsorganisation sagte gegenüber SRF: «Noch schlägt es nicht durch, aber im Herbst, da brennt der Baum».
Frankreich: Der Staat regelt die Energiepreise
Korrespondent Daniel Voll: Die hohe Teuerung war im Frühling das dominante Wahlthema. Ein neues Gesetz zur Erhaltung der Kaufkraft war das erste Projekt, das die Regierung ins neu gewählte Parlament einbrachte. Sie konnte politisch auf breiten Konsens zählen. Frankreichs Regierung hat bereits im Herbst vor einem Jahr einen Preisstopp für Gas und Strom verhängt. Das Defizit übernimmt der Staat. Das Resultat: Die Inflation liegt in Frankreich bei sechs Prozent, deutlich unter dem europäischen Schnitt von knapp 9 Prozent.
Das hohe Budgetdefizit zwingt die Regierung nun zu Korrekturen. Die Energiepreise will die Regierung weiterhin staatlich regeln. Aber sie will bei Gas und Strom auf Anfang 2023 Preiserhöhungen von 15 Prozent zulassen. Auch die Verbilligung von Treibstoff läuft aus. Aber für tiefe Einkommen will der Staat die Teuerung durch Energiegutscheine abfedern.
Österreich: «Vollkasko für alle»
Korrespondent Peter Balzli: «So viel bekommen Sie vom Geldautomatenstaat» titelte die Zeitung «Der Standard» am Wochenende. Das ist zwar provokant formuliert. Aber tatsächlich erfinden und beschliessen die österreichische Regierung und die Bundesländer fast im Wochentakt neue Hilfen für das inflationsgeplagte Volk. Gigantische 30 Milliarden Euro sollen bis 2026 zur Erhaltung der Kaufkraft fliessen. Und zwar nicht nur an Arme.
Die meisten Hilfen fliessen an alle, also auch an Gutverdienende. Gabriel Felbermayr, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo, sprach angesichts dieser Giesskannenpolitik von einer «Vollkaskomentalität». Da passt es fast ins Bild, dass der sogenannte Klimabonus auch an Tausende Verstorbene ausbezahlt wurde. Den Betrag an den Staat zurückzugeben, ist übrigens «aus rechtlichen Gründen» unmöglich.
Polen: Schuld ist die «Putinflation»
Korrespondentin Sarah Nowotny: Die aktuelle Zahl zur Misere lautet 16 Prozent – so hoch war die Inflation in Polen im August. Bricht man das herunter, heisst es, dass eine Freundin ihre Wohnung in Warschau aufgeben und zurück zu ihren Eltern aufs Land ziehen musste. Die Miete konnte sie sich nicht mehr leisten. Es bedeutet auch, dass ein Freund mit seiner IT-Firma fast bankrott gegangen wäre, weil er keine Aufträge mehr vom Staat bekommt – der hat wegen der Teuerung Vorhaben schubladisiert. Und die Polizei schreibt, Diebstähle von Nahrungsmitteln hätten sich mehr als verdoppelt.
Die polnische Regierung hat nun die Mehrwertsteuer für wichtige Produkte gestrichen und sie erlaubt Immobilienbesitzern, die Hypothek eine Zeit lang nicht zu bezahlen. Viele hier vereinfachen die Lage und geben dem Krieg im Nachbarland Ukraine die Schuld an der Inflation, sie wird auch «Putinflation» genannt. Jetzt hofft ganz Polen auf einen milden Winter, denn für manche verdoppeln sich die Heizkosten dieses Jahr.
Grossbritannien: Die realen Sorgen der Untertanen
Korrespondent Patrik Wülser: Die choreographierte Staatstrauer für die verstorbene Queen liess die Zumutungen des Alltags für zehn Tage angenehm verblassen. Doch nun herrscht wieder nüchterner Alltag. Eine neue Premierministerin wird einem neuen König in der wöchentlichen Audienz erklären müssen, wie sie die realen Sorgen der Britinnen und Briten zu lösen gedenkt. Steigende Energiepreise und eine exorbitante Inflation plagen die Untertanen.
Bereits bei ihrem ersten Auftritt im Unterhaus versprach die neue britische Premierministerin Liz Truss ein staatliches Hilfspaket. Ab dem 1. Oktober gibt es während zwei Jahren einen Preisdeckel. Das bedeutet, dass die durchschnittliche Jahresrechnung eines britischen Haushalts für Heizung und Strom nicht mehr als 2500 Pfund – umgerechnet etwa 2700 Schweizer Franken – betragen wird. Wie viel die Unterstützung den Staat am Ende kosten wird, hat Truss nicht verraten. Laut Schätzungen dürften es weit über 100 Milliarden Pfund (umgerechnet etwa 110 Milliarden Franken) sein. Offen bleibt auch die Frage, wie dieser Schuldenberg dereinst abgetragen werden soll.
USA: Bidens banger Blick auf die Inflationsrate
Korrespondentin Barbara Colpi: In den USA sind viele Menschen besorgt, weil der Alltag immer teurer wird. Im Juni war die Inflation mit 9.1 Prozent so hoch wie seit über 40 Jahren nicht mehr. Inzwischen ist sie leicht zurückgegangen, nicht zuletzt, weil die Benzinpreise wieder etwas fielen, doch die Lebensmittelpreise steigen noch immer. Landauf, landab melden Essensausgabestellen, dass die Nachfrage gestiegen sei und sich zum Teil Schlangen bildeten wie während des Corona-Lockdowns.
In den USA sind es Hilfsorganisationen und Kirchen, die hauptsächlich Menschen in finanzieller Not unterstützen. Der Staat versucht die Inflation mit einer aggressiven Zinspolitik zu stoppen. Die Inflation hat auch Einfluss auf die Politik, denn Anfang November sind Zwischenwahlen und die Republikaner versuchen den Demokraten die Hauptschuld an der Inflation in die Schuhe zu schieben.