Er ist ein Exot auf Schweizer Strassen: Martin Berchtold und sein Wasserstoff-Auto. Selbst ein Rolls Royce ist häufiger anzutreffen als ein Wasserstoff-Auto. Bislang verkehren lediglich ein paar Dutzend solcher Fahrzeuge in der Schweiz.
Wir müssen die Umwelt mit unserem Lebensstil entlasten.
Eines davon fährt Martin Berchtold (53) aus Buchs im Kanton Zürich. Aus einfachem Grund: «Wir müssen die Umwelt mit unserem Lebensstil entlasten.» Berchtold wohnt in einem Minergie-Haus, ist Mitglied der GLP und als Netzwerktechniker beruflich viel mit dem Auto unterwegs. Gerade deshalb will er seinen ökologischen Fussabdruck so klein wie möglich halten.
Was ist ein Wasserstoff-Auto?
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Das Herz des Wasserstoff-Autos sind die Brennstoffzellen. Sie sind eine Art kleines Kraftwerk, das fortlaufend Strom produziert, indem Wasser- und Sauerstoff zusammengeführt werden. Mit dem Strom lässt sich beispielsweise ein Auto- oder Lastwagenmotor antreiben. Als Restprodukt entsteht Wasser.
Während rund einem Jahrzehnt war Martin Berchtold mit einem Hybrid-Fahrzeug unterwegs, bis er sich im Herbst 2018 für ein Wasserstoff-Auto entschied. «Mit einem Wasserstoff-Auto kann ich rasch an der Tankstelle Wasserstoff tanken und gleich weiterfahren. Ein batterieelektrisches Auto hingegen muss ich zuerst laden.» Mit dem Wasserstoff-Auto sei er flexibler, bilanziert Martin Berchtold nach über 34'000 mit Wasserstoff gefahrenen Kilometern.
Martin Berchtold macht keine Werbung für Autokonzerne, sondern ist rein persönlich von der Technologie fasziniert. Deshalb nimmt er auch in Kauf, dass – trotz der grösseren Flexibilität – die Tankmöglichkeiten beschränkt sind. Schweizweit gibt es lediglich zwei Tankstellen: Eine in Hunzenschwil (AG), die andere steht in Dübendorf (ZH) bei der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA). Für seinen täglichen Aktionsradius sei das ausreichend, meint der Wasserstoff-Verfechter.
Wasserstoff ist nicht gleich Wasserstoff
Auch eine Reise nach Deutschland ist für Martin Berchtold mit seinem Wasserstoff-Auto problemlos machbar. Die Abdeckung mit Tankstellen ist dort sogar deutlich besser als in der Schweiz, da es praktisch in jeder grösseren Stadt eine entsprechende Tankstelle gibt. «In Deutschland habe ich aber nicht immer die Garantie, dass mein Wasserstoff tatsächlich auch grün ist», erklärt Martin Berchtold, der grossen Wert darauf legt, dass der getankte Wasserstoff auch tatsächlich klimafreundlich ist.
Was ist Wasserstoff?
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Wasserstoff (H2) ist das häufigste chemische Element im Universum. Allerdings kommt Wasserstoff in der Natur selten als reines Gas vor. Deshalb muss es zuerst gewonnen werden; etwa aus Erdgas, Erdöl oder Wasser. Folglich ist Wasserstoff nicht per se CO2-neutral. Entscheidend sind der Rohstoff und die Art und Weise der Produktion.
In der Anlage von Niedergösgen wird der Wasserstoff mittels Elektrolyse produziert. Bei diesem Verfahren trennt Gleichstrom das Wasser in die chemischen Bestandteile Wasser- und Sauerstoff. Als Gas ist Wasserstoff unsichtbar, ungiftig und geruchsfrei, muss aber unter grossem Druck gelagert werden.
In Deutschland wird Wasserstoff häufig aus Erdgas gewonnen. Damit ist der Rohstoff fossilen Ursprungs und nicht CO2-neutral. Stammt die Energie zur Wasserstoff-Herstellung zudem aus Braun- oder Steinkohlestrom, verschlechtert sich die CO2-Bilanz zusätzlich. «Wenn die Energieträger aus fossilen Quellen stammen, dann haben wir gegenüber Benzin und Diesel höchstens minimale Verbesserungen», erklärt Christian Bach. Er ist Leiter Antriebssysteme bei der EMPA und forscht über die Vor- und Nachteile von verschiedenen Antriebstechnologien: «Die ganze Verkehrswende bringt bezüglich der CO2-Emissionen nur etwas, wenn gleichzeitig der Energieträger auf erneuerbar umgestellt wird.»
Bei Wasserstoff aus Wasser ist dieses Ziel gegeben. Und effektiv «grün» ist Wasserstoff erst dann, wenn für dessen Herstellung nicht Strom aus Braun- oder Steinkohle, sondern CO2-freie Energie verwendet wird.
Grüner Wasserstoff «Made in Switzerland»
Wasserstoff-Enthusiast Martin Berchtold setzt grosse Hoffnungen auf die Pläne des Fördervereins H2 Mobilität: «Ich warte schon lange auf einen Tankstellenausbau in der Schweiz», meint er lachend.
Förderverein H2 Mobilität
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Im Förderverein sind grosse Detailhändler wie Coop, Fenaco, Migros, Tankstellenbetreiber wie Avia, Socar, Tamoil und Transport-Unternehmen wie CCC (Chr. Cavegn) oder Galliker Transport zusammengeschlossen. Der Verein will innerhalb der Schweiz ein flächendeckendes Netz an Wasserstoff-Tankstellen aufbauen. Gleichzeitig wollen die einzelnen Firmen Wasserstoff-Lastwagen einsetzen, um so den CO2-Ausstoss ihrer Flotten zu reduzieren. Damit sorgen die Unternehmen von Beginn an für eine konstante Nachfrage nach Wasserstoff.
Im Förderverein haben sich grosse Unternehmen aus der Schweiz zusammengeschlossen, um landesweit ein flächendeckendes Netz mit Wasserstoff-Tankstellen aufzubauen. Bis Ende Jahr sollen sechs Standorte hinzukommen: in St. Gallen, Zofingen (AG), Rümlang (ZH), Dietlikon (ZH) und Crissier (VD). Der Wasserstoff für die Tankstellen soll aus der Schweiz stammen und CO2-neutral sein. Produziert wird er vorerst in Niedergösgen (SO).
Die Aare liefert den Strom
Der mächtige Kühlturm und der aufsteigende Wasserdampf des AKW Gösgen sind von weitem zu sehen. Die Aare wird hier nicht nur zur Kühlung verwendet, sondern treibt nur wenige Hundert Meter entfernt die fünf Turbinen des Flusskraftwerkes Niedergösgen an.
Wir wollen grünen Wasserstoff produzieren. Dafür brauchen wir eine klar nachvollziehbare Stromquelle
Thomas Fürst ist Geschäftsführer des Wasserstoff-Produzenten Hydrospider. Sein Auftrag ist klar: «Wir wollen grünen Wasserstoff produzieren. Dafür brauchen wir eine klar nachvollziehbare Stromquelle».
Hydrospider bezieht den Strom direkt aus dem Flusskraftwerk. Um den Beweis zu erbringen, öffnet Thomas Fürst die Verkleidung von Turbine Nummer 3 und fasst armdicke, gut isolierte Stromkabel an, die im Boden verschwinden: «Von hier führen die Stromkabel direkt zur Wasserstoff-Produktionsanlage». Diese steht auf der anderen Seite des Areals und umfasst ein graues Betongebäude, zwei weisse und ein blauer Container.
Im grauen Gebäude wird der Strom aus dem Kraftwerk transformiert und in die Container weitergeleitet. Im Innern des weissen Containers entsteht in harassegrossen Apparaten Wasserstoff. «Der Prozess ist die Elektrolyse», erklärt Thomas Fürst und zeigt auf die Membrane in den Apparaten: «Wasser wird mit Gleichstrom in die Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff aufgeteilt».
Der Wasserstoff wird anschliessend über ein rund zwei Zentimeter dünnes Rohr abgeführt und in Druckbehälter gefüllt, die in grossen Transport-Containern untergebracht sind. Noch laufen die letzten Tests an der Anlage. Aber sobald dieser Tage der kommerzielle Betrieb startet, werden die Container von Lastwagen abgeholt, zu den geplanten Wasserstoff-Tankstellen gebracht und dort angeschlossen. Jeder Container fasst 350 Kilogramm Wasserstoff, womit der tägliche Bedarf von rund 10 Lastwagen gedeckt werden kann.
Über Hydrospider
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Hydrospider ist im Besitz des Energiekonzerns Alpiq, des Wasserstoff- und Brennstoffzellenspezialisten H2energy und des irischen Gasunternehmens Linde. In Niedergösgen (SO) betreibt Hydrospider die bislang grösste Wasserstoff-Anlage der Schweiz, die jährlich rund 300 Tonnen Wasserstoff produzieren kann. Gemäss eigenen Angaben deckt diese Menge den Jahresbedarf von 40 bis 50 Lastwagen oder 1700 Personenwagen. Bereits plant Hydrospider in der Schweiz weitere Anlagen zu bauen.
«Pro Jahr können wir rund 300 Tonnen Wasserstoff herstellen», führt Thomas Fürst aus: «Das reicht voraussichtlich für die geplanten 50 Wasserstoff-Lastwagen, die bis Ende Jahr verkehren werden.» Langfristig brauche es aber deutlich mehr Wasserstoff, so der Geschäftsführer von Hydrospider: «Wir rechnen damit, dass die Anlage bereits Ende Jahr voll ausgelastet ist. Deshalb planen wir hier in Niedergösgen einen Ausbau und evaluieren gleichzeitig weitere Standorte in der Schweiz. Wichtig ist, dass wir nahe an den Verbrauchern sind».
Pro Jahr können wir rund 300 Tonnen Wasserstoff herstellen.
Hydrospider ist derzeit mit Hochdruck daran, die nötigen Bewilligungen einzuholen, um bereits im kommenden Jahr eine noch grössere Anlage in Betrieb nehmen zu können. Dannzumal sollen bereits 200 Wasserstoff-Lastwagen unterwegs sein und bis in fünf Jahren sogar 1600. So zumindest das Ziel des Fördervereins H2 Mobilität.
Pläne, die bei Martin Berchtold auf grossen Zuspruch stossen: «Der Ausbau ist begrüssenswert. Von mir aus dürfte er aber schneller gehen», meint der Noch-Exot. Ein Status, den er übrigens sehr gerne aufgeben würde, zugunsten einer grösseren Wasserstoff-Verbreitung.
Steht Wasserstoff jetzt vor dem Durchbruch?
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Die Technologie der Brennstoffzelle und die Gewinnung von Wasserstoff sind seit Jahrzehnten bekannt. Als Treibstoff hat das Gas bislang ein Nischendasein gefristet.
SRF: Christian Bach, Leiter des Instituts für Antriebssysteme an der EMPA in Dübendorf: Steht Wasserstoff jetzt vor dem Durchbruch?
Christian Bach: Es gibt zumindest ernstzunehmende Anzeichen, dass in gewissen Segmenten – beispielsweise im Nutzfahrzeugverkehr – einiges gehen könnte. Es ist eine ähnliche Entwicklung wie bei den Elektrofahrzeugen. Lange waren sie Nischenanwendungen bis bei der Batterietechnologie grosse Fortschritte erzielt wurden. Heute ist das im Bereich der Wasserstoffmobilität ebenfalls so: Bei den Elektrolyseanlagen und Brennstoffzellen wurden grosse Fortschritte gemacht.
Sind es einzig diese technologischen Fortschritte, die dem Wasserstoff nun zum Durchbruch verhelfen könnten?
Nein. Ich glaube es sind die CO2-Vorschriften, die mit bisherigen Technologien nicht mehr erreichbar sind. Bisher gab es CO2-Vorschriften auf freiwilliger Basis oder solche, die man mit konventionellen Antrieben (Diesel und Benzin) noch erreichen konnte. Bis anhin war der Druck gar nicht vorhanden, in grossem Stil in diese neuen Technologien zu investieren.
Ohne politischen Druck hätte die Fahrzeugindustrie nicht vorwärts gemacht?
Das ist richtig. Die Automobilindustrie ist ein sehr kompetitiver Markt. Die Kosten spielen eine zentrale Rolle. In diesem Kontext sind Gesetzgebungen entscheidend: Ohne gesetzliche Regelung besteht die Gefahr, das Umweltanliegen oder Klimathemen von den Finanzvorständen als zu teuer und nicht markttauglich eingestuft und deshalb nicht realisiert werden. Dies hat sich mit den CO2-Vorgaben in der EU und der Schweiz deutlich verändert.
In der Schweiz will nun ein privates Konsortium den Wasserstoff voranbringen. Wie beurteilen Sie dieses Vorgehen?
Wenn es gelingen soll, dann ist es wahrscheinlich fast nur mit diesem Vorgehen möglich. Das spannende dabei ist, dass sich Wettbewerber zu einem Förderverein zusammengeschlossen und entschieden haben, die Anfangsphase gemeinsam zu bestreiten. Das sind Firmen, die sowohl Tankstellen wie auch grosse Lastwagenflotten betreiben.
Dieser Vorgang ist weltweit ziemlich einmalig. Das ist in der Schweiz möglich, weil man sich kennt und offensichtlich auch vertraut. Ich denke, dass damit ein Grundstein gelegt wird, der auf privatwirtschaftlichen, marktüblichen Konzepten beruht. Es ist nicht eine Fördermassnahme, bei der fraglich ist wie sie sich weiterentwickelt, wenn die Förderung aufgehoben wird.
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