Hand aufs Herz: Wer im Laden eine Flasche Wein kauft oder im Restaurant einen Wein bestellt, will in der Regel eine Flasche mit Korken. Denn: Korken verbinden wir mit Qualität, Drehverschlüsse eher mit Mineralwasser oder Billigwein.
Das ist ein Vorurteil. Denn jahrzehntelange Forschungen in der Schweiz haben aufgezeigt, dass der Drehverschluss zu Unrecht ein schlechtes Image hat.
Das Weinbauzentrum Wädenswil befindet sich in einem zweistöckigen Gebäude, umgeben von Rebbergen und mit Blick auf den Zürichsee. Im Sitzungszimmer wartet Matin Wiederkehr. Er ist der Geschäftsführer des Weinbauzentrums. Dieses ist eng mit dem Forschungszentrum des Bundes, Agroscope, verbunden.
Das Weinbauzentrum verwaltet das Erbe der einstigen Forschungsanstalt Wädenswil. Schon in den 60er- und 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts untersuchte sie in Wädenswil Drehverschlüsse auf Weinflaschen. «Man konnte damals nachweisen, dass es Unterschiede gibt zwischen den verschiedenen Arten, Weinflaschen zu verschliessen», erzählt Wiederkehr.
Der Weinfachmann holt mehrere Jahrbücher aus dieser Zeit aus dem Archiv, wuchtet sie auf den Sitzungstisch und beginnt zu blättern. «Es wurden verschiedene Drehverschlüsse ausprobiert, auch Schweizer Produkte.» Schon damals habe die Schweizer Maschinenindustrie den Ruf gehabt, in Sachen Genauigkeit zur Weltspitze zu gehören, sagt Wiederkehr.
Denn so ein Verschluss ist komplex: «Im Innern des Drehverschlusses hat es eine Dichtung aus mehreren Schichten Kunststoff, die mit einem bestimmten Anpressdruck auf das Glas kommt. Nur so ist die Flasche einerseits dicht verschlossen. Gleichzeitig lässt der Verschluss noch etwas Sauerstoff in der Flasche, der den Wein etwas altern lässt.»
Besser altern mit Drehverschluss
Dann wurden Flaschen aus demselben Tank abgefüllt, mit verschiedenen Drehverschlüssen und Korken verschlossen und eingelagert. Nach jeweils sechs Monaten wurde eine Serie Flaschen geöffnet und analysiert. Und weil Wein langsam altert, dauerten diese Versuchsreihen über 20 Jahre.
Die Ergebnisse seien eindeutig gewesen, sagt Martin Wiederkehr und zitiert aus den Jahrbüchern: «Man hat herausgefunden, dass sich in den Serien über die Zeit grössere Differenzen zeigten.» Der Korken war zwar nicht per se schlecht, die Statistiken zeigten aber, dass der Wein in Flaschen mit Drehverschlüssen in der Regel besser alterte.
Martin Wiederkehr holt aus dem Keller der ehemaligen Forschungsanstalt verschiedene Flaschen und reiht sie auf. Das eine Paar sind zwei Flaschen Müller-Thurgau aus dem Jahr 1987, eine mit Drehverschluss, eine mit Korken.
Der Füllstand der Flasche mit Korkverschluss ist deutlich tiefer. Vor einigen Wochen habe er Weine aus dieser Serie verkostet, erzählt der Fachmann. Das Resultat habe die Ergebnisse der damaligen Forschungsarbeit bestätigt. Der 35-jährige Wein mit Drehverschluss weist kaum Fehlnoten auf.
Trotz dieser Erkenntnisse: Der Wein aus der Flasche mit Drehverschluss stiess auch damals auf Skepsis. Martin Wiederkehr zitiert aus den Jahrbüchern: «68 Prozent der Befragten fanden den Verschluss praktisch, für 66 Prozent verstiess er gegen Traditionen, für 16 Prozent war er gar schockierend.»
Grund genug, dass sich der Verschluss, trotz jahrelanger Forschung in der Schweiz, hierzulande und auch in den Weinbaugebieten Europas kaum durchsetzen konnte.
Anders in der sogenannten neuen Welt des Weinbaus, wo zum Beispiel in Neuseeland der Drehverschluss zum Standard wurde – auch für teure Weine. Aus den Forschungsergebnissen ebenfalls ihre Schlüsse gezogen habe die Korkindustrie, sagt Wiederkehr. Die Herstellung von Korkzapfen habe sich mittlerweile so weit verbessert, dass deutlich weniger Weine von Korkgeschmack befallen seien.
Bei den Rotweinen sind es klar Flaschen mit Korken. Bei den Weissweinen sind Kunden eher bereit, auch einen Drehverschluss zu akzeptieren.
Die Skepsis gegenüber Weinen mit Drehverschluss hält sich bis heute. Das zeigt ein Besuch in der Luzerner Weinhandlung Schubiweine. Inhaber Pius Schumacher weiss, was seine Kundinnen und Kunden erwarten: «Bei den Rotweinen sind es klar Flaschen mit Korken. Bei den Weissweinen sind sie eher bereit, auch einen Drehverschluss zu akzeptieren.»
Der Drehverschluss verschliesse die Weinflasche hermetisch. Das Risiko für einen Wein, Fehler zu haben, sinke so, räumt Schumacher ein. «Der Wein bleibt so relativ lange stabil. Das ist bei vielen Weissweinen sehr erwünscht.
Bei qualitativ hochstehenden Rotweinen ist aber die Alterung förderlich für den Genuss des Weines.» Und bei teuren Weinen investierten die Produzenten meist auch in teure, qualitativ hochstehende Korken, was zu weniger Fehlern im Wein führe.
Pius Schumacher bringt noch einen weiteren Punkt zur Diskussion: das Gefühl. «Wenn ich einen Rotwein mit einem Korkenzieher öffne, macht das Lust, den Wein zu trinken.» Auch wenn der Drehverschluss eher garantiert, dass der Wein keinen Fehler hat, löst er weniger sinnliche Assoziationen aus als ein ploppender Korken.
Wein, ein Multi-Milliardengeschäft
Die Weinbranche ist ein weltweites Multi-Milliardengeschäft, das jährlich weiterhin wächst. Gleichzeitig sind die Weinproduzentinnen und Produzenten angehalten, ihre Weine nachhaltiger zu produzieren, damit also auch weniger Abfall zu produzieren.
Der Verstand sagt: Das ‘Klack’ des Drehverschlusses ist besser. Das Herz sagt: Ich will den ‘Plopp’ des Korkens hören.
Martin Wiederkehr ist überzeugt, dass das künftig auch Einfluss darauf haben wird, wie die Weinflaschen verschlossen werden. «In den technischen Gremien finden derzeit viele Diskussionen darüber statt.»
Doch die Verschlüsse müssten am Markt bestehen können. Und da seien die Konsumentinnen und Konsumenten in der Pflicht, ihre Rituale rund um den Genuss von Wein zu überdenken. Keine einfache Sache, fügt Weinforscher Wiederkehr hinzu, gehörten die Rituale quasi zum Kulturgut Wein dazu.
Da müsse er sich selber auch immer wieder an der Nase nehmen, wenn er eine Weinflasche öffnet: «Der Verstand sagt: Das ‘Klack’ des Drehverschlusses ist besser. Das Herz sagt: Ich will den ‘Plopp’ des Korkens hören.»