Das Problem: Zwischen 700 und 1000 Medikamente – so viele Arzneimittel dürften in diesem Winter in der Schweiz fehlen. Die Engpässe seien da, und sie würden zunehmend länger dauern, meldet der Apothekerverband Pharmasuisse. Vor allem Antibiotika und Schmerzmittel werden oft knapp.
Der Hintergrund: Vor allem bei Nachahmerpräparaten, also Kopien von Arzneien, die keinem Patentschutz mehr unterliegen, ist der Preisdruck gross. Die Wirkstoffe werden deshalb in der Regel nicht mehr an teuren europäischen Standorten, sondern günstiger in Asien hergestellt. In globalen Krisen ist das ein Risiko. Die Lieferketten funktionieren dann nicht mehr, und es kommt zu Engpässen.
Die Forderung: Die SP will, dass der Bund den Schweizer Generika-Hersteller Sandoz verstaatlicht. Das hat sie Ende Oktober verkündet. «Pharmakonzerne werfen bereits heute weniger lukrative Bereiche, zum Beispiel die Antibiotika-Produktion, ab», begründet die SP-Vorsitzende Mattea Meyer die Forderung. «Sie wollen das nicht mehr machen, und das geht auf Kosten von unserer Gesundheit, weil zu wenig geforscht, zu wenig investiert wird.» Wenn Sandoz dem Staat gehöre, findet die SP, würde sich der Konzern mehr um die Versorgung der Bevölkerung als um Gewinne für seine Aktionäre kümmern.
Die Alternativen: Auch andere Staaten spüren die Folgen der Lieferkettenprobleme im Pharmabereich und haben Gegenmassnahmen ergriffen. Der US-Bundesstaat Kalifornien etwa ist letztes Jahr eine Partnerschaft mit einer Non-Profit-Pharmafirma eingegangen, um selbst Insulin herzustellen. So sollen Diabetes-Patienten bald Insulin-Dosen für nur 30 Dollar erhalten – eine Revolution in den USA, wo die Preise für eine Dosis zeitweise das Zehnfache betrugen. Ein anderes Beispiel ist Frankreich: Hier hat der Staat Pharmafirmen mit Investitionshilfen dazu gebracht, Dafalgan – also Paracetamol – komplett im Land zu produzieren. Und in Österreich hat Sandoz staatliche Subventionen erhalten, um dort die letzte vollintegrierte Pencillin-Fabrik Europas zu betreiben.
Die Experteneinschätzung: «Autonomie kostet», sagt Tilman Slembeck, Gesundheitsökonom an der ZHAW in Winterthur. Das hätten viele Staaten während der Pandemie begriffen. Dennoch bezeichnet Slembeck die Forderung nach einer Verstaatlichung von Sandoz als «absurd». Die Herstellung von Medikamenten funktioniere nicht national, schon gar nicht in einem kleinen Land wie der Schweiz. Selbst wenn Sandoz ein Staatsbetrieb wäre, so Slembeck, hätte es die gleichen Probleme in seinen Lieferketten wie jetzt auch.
Drei mögliche Wege: Der Experte ist aber nicht grundsätzlich gegen staatliche Eingriffe im Pharmabereich. Er hält drei Wege für denkbar: erstens die Produktion im eigenen Land fördern, zweitens eine Lagerhaltung, und drittens die internationale Kooperation. Die Schweiz, sagt der Experte, solle vor allem auf Kooperation setzen, weil sie stark in der Forschung sei, aber teuer als Produktions- oder Lagerstandort. In Notlagen könne die Schweiz tauschen: zum Beispiel Medizintechnik gegen Wirkstoffe. Der Staat wiederum könnte die Firmen dabei unterstützen, dass sie in der Forschung und Entwicklung stark bleiben.