Mit dem Aus für die Regierung Barnier scheitert auch das Haushaltsbudget fürs nächste Jahr – und damit die Sanierung der französischen Staatsfinanzen. Das ist problematisch: Frankreich hat nach Griechenland und Italien die dritthöchste Schuldenquote der Eurozone. Irgendwann könnte der Preis neuer Schulden für Frankreich zu hoch werden, mahnt Ökonom Manuel Oechslin von der Universität Luzern.
SRF News: Frankreich hatte vor 50 Jahren zuletzt ein ausgeglichenes Staatsbudget. Wie kann ein Land so lange auf Pump leben?
Manuel Oechslin: Die Staatsverschuldung in Frankreich ist über die letzten 20 Jahre von etwa 66 auf 112 Prozent der Wirtschaftsleistung angewachsen. Die Defizite sind so lange tragbar, bis die steigende Zinslast den finanzpolitischen Spielraum stark einschränkt. Dann wird eine Budgetsanierung für die Politik zur am wenigsten schlechten Option. Aber: Wenn die Wirtschaft stark wächst, kann die Staatsverschuldung auch bei Defiziten sinken. Dies war in Frankreich zumindest in den letzten zwei Jahren der Fall.
Es fehlt damit der politische Spielraum, um bedeutende Entlastungsmassnahmen durchzubringen.
In Anbetracht dieser hohen Schuldenlast – was sind die unmittelbaren Folgen davon, dass der Haushaltsentwurf der Regierung Barnier gescheitert ist?
Mit dem Misstrauensvotum ist das Budget für 2025 vom Tisch – und damit auch die geplanten Entlastungsmassnahmen über rund 60 Milliarden Euro in Form von Steuererhöhungen und Budgetkürzungen. Die nächste Regierung wird vermutlich keine parlamentarische Mehrheit haben. Damit fehlt der politische Spielraum, um bedeutende Entlastungsmassnahmen durchzubringen.
Die EU hat diesen Sommer ein Defizitverfahren gegen Frankreich eingeleitet. Saniert das Land seinen Haushalt nicht, drohen Strafmassnahmen. Verhängt die EU jetzt Bussen gegen Frankreich?
Bei einem Defizitverfahren gegen ein EU-Mitglied werden nicht automatisch Sanktionen verhängt. Das ist dann letztlich ein politischer Entscheid, in den alle Mitgliedstaaten eingebunden sind. Viele EU-Länder kämpfen selbst mit finanziellen Problemen. Vor diesem Hintergrund dürfte ihre Lust angesichts eigener Interessen gering sein, Frankreich mit Strafen zu belegen – auch wenn das Land seinen Staatshaushalt jetzt nicht entlastet.
Frankreich ist aus ökonomischen und politischen Gründen für die Eurozone schlicht ‹too big to fail›.
Inwiefern lässt sich die Situation Griechenlands während der «Eurokrise» mit den heutigen Verhältnissen in Frankreich vergleichen?
Den Vergleich mit Griechenland halte ich für übertrieben. Die französischen Privathaushalte besitzen relativ hohe Nettovermögen und die Wirtschaft ist mit Blick auf die restliche EU vergleichsweise produktiv. Sie ist breit diversifiziert, hat eine grosse industrielle Basis und zieht viele ausländische Direktinvestitionen an. Abgesehen davon ist Frankreich als zweitgrösste Volkswirtschaft und Gründungsmitglied der EU ein politisches Schwergewicht. Das heisst: Frankreich ist aus ökonomischen und politischen Gründen für die Eurozone schlicht «too big to fail».
Trotzdem wurde bereits von einer zweiten «Eurokrise» gesprochen – was bedeuten die Probleme Frankreichs für die Eurozone?
Nicht nur Frankreich muss sparen – auch andere EU-Länder müssen ihre Staatsausgaben trimmen. Kurzfristig verlangsamt dies das Wachstum. Die wirtschaftlichen Aussichten für die EU sind für das kommende Jahr deshalb verhalten. Andere Staatsaufgaben könnten so aus dem Blick geraten: Die Verteidigungsfähigkeit oder die Unterstützung der Ukraine dürften dann darunter leiden, womit dem Kontinent vielleicht Probleme von einem grösseren Kaliber drohen.
Das Gespräch führte Marco Schnurrenberger.