Wer Strom konsumiert, erhält dafür noch Geld – sogenannte negative Strompreise kommen auch im Schweizer Stromhandel in letzter Zeit immer wieder vor. Wenn der Stromkonsum Geld einbringt, kann das ein Energiekonzern wie Axpo nutzen, erklärt Chefökonom Martin Koller: «Man versucht, da, wo es geht, nicht zu produzieren und Strom hochzupumpen für Zeiten, in welchen die Preise wieder positiv sein werden.»
Viele Kraftwerke laufen weiter
Die Strompreise sinken an windigen und sonnigen Sonntagen zeitweise unter null. In der Schweiz erhielt ein Abnehmer Anfang Juli beispielsweise während kurzer Zeit bis zu 50 Euro pro Megawattstunde, die er verbrauchte.
Schuld daran sei die Tatsache, dass viele Kraftwerke nicht abgeschaltet würden, selbst wenn die Nachfrage sinke, erklärt Koller: «Wenn sie beispielsweise eine Einspeisevergütung haben, produzieren sie weiter und das Kraftwerk profitiert unabhängig vom Marktpreis. Einige Kraftwerke wie Laufwasserkraftwerke können nicht ausschalten. Bei Kohlekraftwerken wäre ausschalten teurer.»
Sowohl Einspeisevergütungen als auch Kohlekraftwerke werden in den nächsten Jahren verschwinden. Die Produktion wird also schneller auf die Nachfrage reagieren. Negativpreise wird es weiterhin geben, ist Koller überzeugt: «Die Situation wird anhalten, langfristig wird sie aber wegfallen. Es wird jedoch viele Situationen geben, wo die Preise nahe bei null liegen.»
Konsumenten haben wenig davon
Bereits jetzt böten die tiefen und negativen Preise einen Anreiz, Speicher zu bauen, seien es kleinere oder grössere Batterien, oder gar Pumpspeicherkraftwerke auszubauen.
«Es gibt Projekte, welche bereits nach wenigen Jahren rentieren. Das ist ein Effekt der Volatilität, und die negativen Preise können dabei helfen», erklärt Christian Schaffner, Direktor des Energy Science Centers der ETH Zürich.
Was den Energieproduzenten hilft, nützt den privaten Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz bisher nichts. Im Gegenteil, im regulierten Schweizer Strommarkt bezahlen viele Kundinnen und Kunden heute am Mittag, wenn das Angebot wegen des Sonnenstroms eigentlich am grössten ist, am meisten.
Das werde sich ändern, prophezeit Martin Koller. «Ihr Versorger wird es so machen, dass der Stromverbrauch flexibel auf den Tag verteilt wird. Eine vollständige Marktöffnung würde Anreize schaffen. Kunden, welche bereit sind, ihre Last zu steuern oder selber flexible Assets wie beispielsweise Elektroautos haben, würden von diesen Konditionen profitieren.»
Ausbau der Stromproduktion weiterhin interessant
Bleibt die Frage, ob tiefere und teils negative Preise den Energiekonzernen den Appetit auf den Bau neuer Produktionsanlagen verderben. Koller meint ausweichend: «Selbstverständlich schauen wir bei langfristigen Investitionen auf die langfristige Ertragslage.»
Christian Schaffner von der ETH Zürich geht allerdings davon aus, dass wegen der steigenden Nachfrage die Preise für Strom nicht sinken werden. «Wenn wir die Szenarien anschauen, sehen wir mittel- bis langfristig einen Trend zu leicht höheren Strompreisen.»
Sprich, grosse Konzerne wie Axpo und einzelne Private hätten trotz kurzzeitig negativen Preisen weiterhin ein Interesse daran, ihre Stromproduktion auszubauen.