Der Arbeitgeberverband hat am Nachmittag acht Lösungsansätze präsentiert, wie dem Fachkräftemangel aus seiner Sicht möglicherweise entgegengetreten werden kann. Die Menschen müssten länger und auch mehr arbeiten, so der Tenor. Auch Arbeiten bis 70 oder mehr müsse kein Tabu mehr sein. Jan-Egbert Sturm ist Ökonom und Direktor der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich. Wichtig sei vor allem, dass auf dem Arbeitsmarkt die Regulierungen abgebaut werden, so Sturm.
SRF News: Arbeiten die Menschen in der Schweiz weniger als früher?
Jan-Egbert Sturm: Es gibt einen Grund, wieso die Menschen in den letzten Jahrzehnten immer weniger gearbeitet haben. Wir können es uns leisten. Auch die Freizeit hat einen Wert und man muss aufpassen, dass man sich nicht nur auf die eine Seite konzentriert. Es stimmt, dass die Menschen heutzutage durchschnittlich weniger arbeiten als früher. Doch dies ist wie gesagt nicht unbedingt etwas Schlimmes. Es kann auch ein Zeichen sein, dass es uns immer besser geht.
Viele möchten noch ein paar Jahre weiterarbeiten, wenn auch nicht in einem vollen Pensum.
Möchten die Menschen tatsächlich weniger arbeiten?
Es gibt durchaus Situationen, in welchen Personen länger arbeiten möchten, beispielsweise ab einem Alter von 65. Nicht jeder und jede will in diesem Alter aufhören zu arbeiten und zu Hause herumsitzen. Viele möchten noch ein paar Jahre weiterarbeiten, wenn auch nicht in einem vollen Pensum. Die heutigen Regelungen machen dies schwierig bis fast unmöglich. Hier muss man flexibler sein.
Die Forderung nach mehr Arbeit widerspricht aber dem heutigen Zeitgeist.
Arbeit muss sich lohnen; jede Person fällt für sich die Entscheidung, ob es sich lohnt, mehr oder überhaupt zu arbeiten. Verbessert man die Anreize zu arbeiten, ist auch die Bereitschaft vorhanden, mehr zu arbeiten.
Heutzutage ist der Wunsch nach Flexibilität deutlich grösser als früher.
Wie müsste man die Anreize verbessern?
Am einfachsten geschieht dies über die Löhne. Ansonsten funktioniert eine Verbesserung über Regulierungen: Wann wird man pensioniert? Wie flexibel kann ich meinen Arbeitstag gestalten? Heutzutage ist der Wunsch nach Flexibilität deutlich grösser als früher.
Mittlerweile gibt es neue Modelle – zum Beispiel das Bogenmodell – damit Menschen über 65 auch weiterhin arbeiten. Was halten Sie davon?
In der Privatwirtschaft sieht man dieses Modell immer öfters, man ist dort weiter als im öffentlichen Sektor. Dort hat es gewisse Regeln, welche möglicherweise nicht mehr ganz up to date sind.
Der Arbeitgeberverband hat zudem die Idee, dass man Kita-Aufenthalte nur noch finanzieren sollte, wenn die Eltern arbeiten, nicht aber in deren Freizeit.
Wir müssen die Arbeitswelt flexibel gestalten. Deshalb ist es schwierig, die Arbeitszeiten zu definieren. Diese Forderung ist äusserst schwierig umzusetzen. Als Gesellschaft müssen wir realisieren, dass wir Möglichkeiten für Vater und Mutter schaffen, berufstätig zu sein.
Das Gespräch führte Beni Minder.