Der Kollegin kurz ein Kompliment über ihre Präsentation machen oder dem Sitznachbarn eine Aufmunterung zukommen lassen: Sogenanntes Instant-Feedback – also umgehende Rückmeldung – ist bei grossen internationalen Arbeitgebern wie Amazon oder Google bereits gang und gäbe.
Jetzt finden auch Schweizer Unternehmen vermehrt Gefallen daran. So führte die Postfinance ein digitales Bewertungssystem mit sogenannten Powercoins ein: Angestellte können Ihren Kollegen Powercoins verteilen. Die Angestellten können sich so gegenseitig Punkte geben für Verhalten, welches der Arbeitgeber als vorbildlich taxiert, zum Beispiel für «Du triffst mutige Entscheide» oder «Du exponierst Dich». Dadurch möchte Postfinance die Einstellung der Angestellten verändern.
Wir wollen, dass sich Leute exponieren, für ihre Meinung einstehen, vielleicht Widerstände aushalten.
Roger Lötscher, Leiter Personal-Transformation bei Postfinance, ist der Vater der Powercoins. Er sagt: «Wir wollen, dass sich Leute exponieren, für ihre Meinung einstehen, vielleicht Widerstände aushalten – auch gegen Hierarchiestufen. Wenn man Ideen durchsetzen will, dann muss man sich exponieren.»
Die Gewerkschaft hat keine Freude an den Powercoins
Nicht goutiert werden die Powercoins bei der Gewerkschaft Syndicom. Sie vertritt einen Teil der Angestellten, der das gegenseitige Bewerten kritisiert. David Roth, Zentralsekretär von Syndicom: «Stellen Sie sich vor, Sie sind in einem Team und bekommen nie irgendwelche Coins. Das ist sozusagen nicht existierendes Feedback, das eben auch etwas aussagt. Und da sind wir dann schnell bei möglichem Mobbing. Mobbing, das schwierig zu erkennen und nachzuweisen ist und das in ihrem engsten Arbeitsumfeld stattfindet.»
Der Druck mitzumachen ist enorm.
Trotzdem: Gut ein Drittel der 3500 Angestellten macht laut Postfinance bereits freiwillig bei den Powercoins mit. Bei diesen Angestellten komme das System gut an, sagt Postfinance. Doch gerade die Freiwilligkeit zweifelt David Roth von Syndicom stark an: «Postfinance sagt klar: Das ist ein Instrument des digitalen Wandels. Wer da nicht mitmacht, zeigt, dass er nicht fit ist für digitalen Wandel. Der Druck mitzumachen ist enorm.»
Kein Beurteilungsinstrument
Roger Lötscher von der Postfinance kontert: «Unser Tool ist kein Beurteilungsinstrument, es geht also nicht darum, ob jemand etwas schlecht oder gut gemacht hat. Sondern es geht darum, dass wenn sich jemand positiv verhalten hat, dann können die Kollegen das mit Punkten goutieren.»
Das gegenseitige Bewerten, könnte weitreichende Folgen haben, warnt der Gewerkschafter Roth: «Wenn man zum Beispiel auch noch weiss, von wem man Punkte erhalten hat, besteht Interesse, jenen Leuten Punkte zu geben, die über das persönliche Weiterkommen entscheiden. Das führt zu Neid und Missgunst innerhalb des Teams.»
Wer fleissig Punkte sammelt, erhält bei der Postfinance nicht nur Wertschätzung, sondern kann damit auch Gutscheine für E-Books oder Kaffee kaufen – vielleicht auch, um dann der Vorgesetzten in der Kaffeepause mal die Meinung von Angesicht zu Angesicht mitzuteilen. Ganz ohne Bewertungspunkte.