In einem offenen Brief haben sich Ökonominnen und Ökonomen an den Bundesrat gewandt. Darin plädieren sie für einen zweiten Shutdown in der Schweiz. Denn die wirtschaftlichen Kosten seien viel höher, wenn die Pandemie ausser Kontrolle gerate, als wenn man das Wirtschaftsleben für eine bestimmte Zeit nochmals stark einschränke.
Was die Wirtschaftsexperten schreiben, wird mittlerweile von vielen Studien bestätigt: Ein kurzer, heftiger Shutdown ist billiger als eine ausser Kontrolle geratende Pandemie, die das Leben ebenfalls lahmlegt, weil die Menschen Angst haben und nichts mehr konsumieren.
Florian Scheuer ist Ökonomieprofessor an der Universität Zürich und hat den offenen Brief mitunterschrieben. Wenn ein Virus so wüte wie in der Schweiz, gebe es keinen Zielkonflikt mehr zwischen Wirtschaft und Gesundheit, sagt der Volkswirt. Es sei vielmehr so, dass «der beste Schutz für die Wirtschaft die Kontrolle des Virus wird.»
Um das Virus zu kontrollieren, müsse man das gesellschaftliche Leben für eine begrenzte Zeit runterfahren. So wie in Deutschland zum Beispiel, wo bis Ende Monat vieles stillsteht. Damit könnten nicht nur Menschenleben gerettet und die Spitäler geschützt werden; auch die volkswirtschaftlichen Kosten seien tiefer.
Jetzt, wo das Virus wütet, vollziehen die Menschen von sich aus Verhaltensänderungen, die der Wirtschaft schaden.
Die Kosten von Lockdowns würden oft berechnet, indem man sie mit der Wirtschaftstätigkeit vor der Pandemie vergleiche, sagt Scheuer. «Das ist aber der falsche Vergleich. Denn jetzt, wo das Virus wütet, vollziehen die Menschen von sich aus Verhaltensänderungen, die der Wirtschaft schaden.»
Extrem formuliert: Wer wie im Frühjahr in New York die Kühlwagen vor den Spitälern stehen sieht, in denen Covid-Leichen gestapelt werden, dem vergeht die Lust auf den Restaurantbesuch sowieso. Darum ist für Scheuer klar: Breitet sich das Virus weiter so stark aus, sind gerade jene Branchen wirtschaftlich am Ende, die dringend einen Aufschwung brauchten.
Dicht machen für den Aufbruch
Der Volkswirt blickt mit Sorge auf die Wintersportsaison. «Es wäre verheerend, wenn die Schweiz dann weiter so hohe Zahlen hat und auf der Quarantäneliste vieler Länder steht, aus denen sonst Touristen gekommen wären.»
Jetzt sind wir gescheiter und wissen, dass man nicht alles schliessen muss.
Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse stemmt sich gegen einen zweiten Shutdown. Chefökonom Rudolf Minsch sagt, warum: «Die Kosten eines Lockdowns sind immens. Man muss zielgerichtet vorgehen.»
Die weitgehenden Einschränkungen vom Frühling hätten riesige Kosten verursacht. «Jetzt sind wir gescheiter und wissen, dass man nicht alles schliessen muss.» Stattdessen solle man dort, wo die Schutzkonzepte funktionierten, weiter arbeiten können – ohne, dass sich das Virus stark verbreite.
Ball liegt beim Bundesrat
Zugleich stellt aber auch Minsch fest, dass sich die Schweiz bereits in einem Mini-Shutdown befinde. «Verschiedene Westschweizer Kantone haben schon sehr weitgehende Einschränkungen erlassen. Aber auch die bundesrätliche Vorlage sieht etwa eine Schliessung von Nachtclubs vor.» Die entscheidende Frage sei, wie weit man gehen müsse, um eine Überlastung der Spitalkapazitäten zu verhindern.
Die Schweiz könne es sich leisten, der Wirtschaft nach einem Shutdown zu helfen, entgegnet Ökonom Scheuer: «Wir sind mit der geringen Verschuldung in der glücklichen Lage, dass wir bei einem solchen Jahrhundertschock nicht knausrig sein müssen.»
Mit ihrem offenen Brief spielen die 60 Ökonomen und Ökonominnen den Ball nun dem Bundesrat zu.