Vor wenigen Tagen hat der Ölgigant Shell eine Bewilligung für Erdölbohrungen in der Arktis erhalten. Die zuständigen US-Behörden erlauben dem britisch-niederländischen Konzern sechs Probebohrungen an der Nordwestküste Alaskas. Das Projekt soll bereits diesen Sommer starten.
Der grosse Run auf das Arktis-Öl ist damit aber nicht ausgebrochen. Für Steffen Bukold, Leiter des deutschen Energieberatungsbüros Energy Comment, ist das Gegenteil der Fall. «In den letzten Jahren hat die Dynamik in der Arktis eher abgenommen.»
Diese Einschätzung wird von Greenpeace-Meldungen gestützt, wonach sich Firmen wie Chevron, die norwegische Statoil oder die französische GDF Suez wieder aus der Arktis zurückgezogen haben. Bukold sieht mehrere Gründe für das Ausbleiben des Booms.
Niedriger Ölpreis hemmt Investitionen
Der tiefe Ölpreis setzt vielen Konzernen zu. «Aktuell verzeichnen viele Ölfirmen sinkende Einnahmen. Das verringert den Spielraum für künftige Investitionen», sagt der Experte. Hinzu komme, dass viele Projekte bis zu zehn Jahre dauern könnten und stark von den künftigen Preiserwartungen abhängen würden. Diese Überlegungen führen wohl dazu, dass viele Erdölförderer auf kostspielige und gefährliche Bohrungen in arktischen Gefilden verzichten.
Dass Shell nun trotzdem Bohrungen durchführen wird, hat laut Bukold damit zu tun, dass die Firma keine Finanzierungsprobleme hat und bereits seit circa 40 Jahren versucht, die Arktis zu erschliessen. «Shell hat schon etwa sieben Milliarden Dollar investiert. Würden sie jetzt alle Vorhaben stoppen, wäre dieses Geld verloren.»
Sanktionen gegen Russland
Im Zuge der Ukraine-Krise haben westliche Staaten Sanktionen gegen Russland verhängt, die auch den Energiesektor betreffen. Milliardenteure Erschliessungsprojekte wie jenes zwischen Rosneft und der texanischen Exxon Mobile mussten deshalb abgebrochen werden.
Da Russland bei komplexen Bohrungen in der Arktis bisher auf die Erfahrung von westlichen Konzernen gezählt hat, ist die Handlungsfähigkeit der russischen Ölindustrie eingeschränkt. Die russischen Konzerne versuchen nun diesen Verlust zu kompensieren, indem sie Partnerschaften in China suchen.
Druck gegen Arktis-Bohrungen wächst
Für den Energieexperten ist auch der Einfluss von Umweltschutz-Organisationen nicht zu unterschätzen. Diese weisen unablässig auf die Gefahren der Erdölbohrungen hin und nutzen jeden Unfall, um dem Image des betroffenen Konzerns zu schaden. Dies hat beispielsweise Shell zu spüren bekommen, als Anfang 2013 eine Bohrinsel vor Alaska auf Grund lief.
Wegen des Protests gegen Ölbohrungen würden sich viele Konzerne dreimal überlegen, in der Arktis zu investieren, sagt Bukold. «Der globale Widerstand setzt die Manager unter Druck, weil viele Investoren mittlerweile kritische Fragen stellen und vermehrt in nachhaltige Projekte investieren wollen.»
Dass dieser Druck Wirkung entfalten kann, zeigt das Beispiel des französischen Energiekonzerns Total, der sich im Herbst 2012 mit folgendem Statement aus der Arktis verabschiedet hat: «Eine Ölpest vor Grönland wäre ein Desaster. Sie würde das Image des Unternehmens zu stark beschädigen.»