Im Schweizer Gesundheits- und Sozialwesen werden immer öfter Praktikantinnen und Praktikanten eingesetzt. Sie unterstützen das Fachpersonal im Spital, betreuen Kinder in der Kita und vor allem: Sie kosten wenig. Die starke Zunahme dürfte jenen Stimmen Auftrieb geben, die sich für verbindlichere Vorgaben bei den Praktika einsetzen.
Gewerkschaften fordern Regeln
Eine von ihnen ist Gabriel Fischer vom Gewerkschaftsdachverband Travail Suisse. Für ihn ist der Fall klar: Damit es keinen Missbrauch von Praktika gebe, seien griffigere Regelungen nötig. Die Gewerkschaft sei immer wieder mit Klagen über Praktika konfrontiert, bei denen die Praktikanten schlecht betreut und bezahlt seien sowie manchmal auch nichts lernten.
Rita Blättler vom Dachverband der sozialen Berufe SavoirSocial berichtet sogar von prekären Arbeitsverhältnissen. Sie verweist auf den Spardruck. Dieser führe dazu, dass Jugendliche bereits vor Beginn einer Berufsausbildung ein oder gar mehrere Praktika absolvieren müssten.
Weil im sozialen Bereich zu wenig Geld vorhanden sei, würden dort Praktika als Vorbereitung einer Ausbildung quasi zur Voraussetzung gemacht. «Auch wenn das gesetzlich gar nicht vorgesehen ist», so Blättler.
Praktikum ohne Aussicht auf eine Stelle
Die Rede ist hier von sogenannten Pseudo-Praktika: Die Jugendlichen haben im Anschluss an das Praktikum keine direkte Aussicht auf eine Lehrstelle. Und die Betreuung der Praktikanten ist oftmals erst noch mangelhaft.
Eigentlich sind solche Praktika in den Bildungsverordnungen der Kantone nicht vorgesehen. Dennoch sind sie gerade im Betreuungsbereich sehr verbreitet. Das zeigt eine Umfrage, die Savoir Social im vergangenen Jahr durchgeführt hat: 90 Prozent der Lehrlinge im Betreuungsbereich absolvierten vor Beginn der eigentlichen Lehre ein oder gar mehrere Praktika.
Motivierte Einsteiger werden vergällt
Für den Dachverband der sozialen Berufe sei diese Situation stossend, sagt Blättler. «Unter Umständen werden hochmotivierte Einsteiger davon abgehalten, diesen Beruf zu ergreifen.» Denn wer inklusive Praktika vier Jahre in Ausbildung verbringe statt der eigentlich vorgeschriebenen drei Jahre, fragt sich, ob er in vier Jahren nicht eine wertvollere Ausbildung machen könnte. «Das ist ein Problem in einem Bereich, in dem viele Fachkräfte fehlen», so Blättler.
Dieser Problematik sind sich auch die Experten des Eidgenössischen Hochschulinstituts für Berufsbildung EHB bewusst. Trotzdem könne ein kurzes Praktikum vor der Berufslehre durchaus sinnvoll sein, sagt EHB-Direktorin Cornelia Oertle. «Das verhindert höhere Abbruchquoten während der Lehre – die Jugendlichen wissen so, worauf sie sich einlassen.» Problematisch werde es erst, wenn mehrere Praktika ohne konkrete Aussicht, in eine Berufslehre einsteigen zu können, aneinander gereiht würden.
Der Ball liegt bei den Kantonen – und beim Bund
Um die Qualität der Praktika zu gewährleisten, gibt es in Kindertagesstätten, Altersheimen oder Spitälern zwar Quoten für Praktikanten. Allerdings liegen diese primär in der Verantwortung der Kantone.
Es sei für den Bund deshalb nicht so einfach, einheitliche Regelungen durchzusetzen, sagt Oertle. «Das ist ein höchst politisches Wespennest.» Es gehe dort um die Zuständigkeiten zwischen Bund und Kantonen. Weisungen durch den Bund «würden wohl nicht goutiert», so Oertle.
Deshalb sind in erster Linie die Kantone gefordert. Sie haben denn auch – zusammen mit dem Bund und den Berufsverbänden – im vergangenen Jahr eine Erklärung verabschiedet. Ziel ist es, Pseudo-Praktika ohne direkten Ausbildungsbezug deutlich zu reduzieren. Bindend ist die Erklärung allerdings nicht.