Laurent Vieira de Mello ist derzeit viel beschäftigt und entsprechend kurz angebunden. Der Strategiechef der Lausanner Firma Astrocast will nächste Woche das Start-up in Oslo an die Börse bringen, Zeit für SRF News nimmt er sich dennoch: «Unser Geschäft ist kapitalintensiv, die Marktchancen sind aber enorm», sagt er.
100 Satelliten - kaum grösser als ein Backofen
Astrocast produziert sogenannte Nano-Satelliten. Sie sind kaum grösser als ein Backofen, rund fünf Kilogramm schwer und brauchen kaum Strom. Zwölf dieser Satelliten sind bereits im All. 2024 sollen 100 Satelliten auf einer Höhe von 550 bis 650 Kilometern die Erde als Netz umspannen.
«Mit diesen Satelliten können wir automatisierte Daten-Kommunikation unter Geräten überall auf der Welt anbieten», sagt Viera de Mello, auch in den entlegensten Gebieten – egal ob am Nordpol, in der Wüste oder im Meer. So könnten beispielsweise Temperaturdaten in einem Schiffscontainer, der Druck in einer Gaspipeline oder Wanderungen von Meeresschildkröten selbständig überwacht werden, sagt Vieira de Mello.
Es gehe um alle möglichen Anwendungen im Bereich des sogenannten «Internet der Dinge (IOT)». Bereits heute seien Milliarden von Maschinen, Geräten, Komponenten und Sensoren ohne menschliches Zutun mit dem Internet vernetzt und kommunizierten selbständig miteinander. Durch diese Satelliten würde diese Kommunikation wesentlich einfacher und kostengünstiger.
Private «New Space»-Unternehmen als enormer Wachstumstreiber
Die Firma Astrocast ist ein typisches Weltraum-Unternehmen der sogenannten New-Space-Generation. Raumfahrtprojekte wurden jahrzehntelang von öffentlichen Institutionen – also von Staaten oder grossen Raumfahrtagenturen – in Auftrag gegeben, doch das ändert sich. Immer mehr private Anbieter treiben mit ihren innovativen Ideen die kommerzielle Nutzung des Weltalls voran.
Der Motorenhersteller Maxon aus Sachseln im Kanton Obwalden produziert im Auftrag der NASA seit Jahren Antriebssysteme für Marsroboter – so auch jüngst Steuerungsantriebe des Mars-Helikopters Ingenuity. Doch auch in Sachseln stellt man fest: Private Anbieter drehen auf.
So produziert Maxon mittlerweile auch Motorenelemente für Raketen. «Der Markt ist in den vergangenen Jahren durch private Anbieter viel dynamischer geworden», sagt Maxon-Chef Eugen Elmiger. Anfragen von Privaten nähmen zu: «Wir gehen davon aus, dass wir auch deshalb den Umsatz in den nächsten fünf Jahren im Space-Bereich vervierfachen können.»
Dreistelliger Milliardenmarkt – exorbitante Wachstumsprognosen
Das Beratungsunternehmen PWC geht in ihrer Studie «Main Trends and Challenges in the Space Sector» im vergangenen Dezember davon aus, dass sich der Gesamtmarkt der Weltraumbranche jährlich zwischen 371 und 424 Milliarden US-Dollar beläuft. Der Markt sei sehr fragmentiert, es gehe hier nicht nur um Trägersysteme, Satelliten oder Weltraumtourismus. Eine sehr grosse Wertschöpfung dürfte im Bereich Datengenerierung und Kommunikation liegen.
Kunden kämen aus allen Sektoren: Regierungen, Privatanwender, Industrie, Landwirtschaft oder auch Tourismus, schreibt PWC-Partner Luigi Scatteia. Die US-Investmentbank Morgan Stanley geht davon aus, dass im Space-Bereich 2040 weltweit jährlich rund eine Billion US-Dollar umgesetzt werde – die Hälfte davon für Satellitensysteme für Breitbandanwendungen.
Schweiz noch an einem kleinen Ort – holt aber auf
Für die Schweizer Zulieferer sind staatliche Raumfahrtagenturen wie die Nasa vor allem aber die europäische Raumfahrtagentur ESA nach wie vor Hauptauftraggeber.
Das mit 277 Millionen Franken (Zahlen von 2020) umsatzstärkste Unternehmen im Bereich der Schweizer Weltraum-Technologie ist die Firma Ruag International. Sie will sich neu nur noch auf das Weltraumgeschäft konzentrieren und in Zukunft unter dem Namen «Beyond Gravity» firmieren.
Der Markt boomt.
1377 Spezialisten arbeiten derzeit in diesem Bereich. Man wolle zum integrierten Anbieter von Subsystemen für Satelliten werden, sagt André Wall, Chef von Ruag International: «Der Markt boomt. Wenn man sich die Wachstumsraten im Vergleich zu anderen Märkten anschaut, dann wachsen wir bis 2040 im zweistelligen Bereich, mit 15 bis 16 Prozent Wachstumsraten pro Jahr.»
In der Schweiz haben sich 26 Unternehmen, die direkt mit Raumfahrttechnologie zu tun haben, in der Swiss Space Industries Group SSIG zusammengeschlossen. Diese Unternehmen beschäftigen über 1000 Angestellte. Der Jahresumsatz liegt bei etwa 270 Millionen Franken.
Hinzu kommen noch weitere Firmen, in denen rund 1500 Personen im Bereich der Raumfahrt tätig sind – vor allem in den Bereichen Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie. Tendenz steigend. Viele dieser Unternehmen sind aus der Forschung entstanden und haben sich aus den ETHs in Lausanne und Zürich sowie Universitäten und Fachhochschulen entwickelt.
Rund 250 Millionen jährlich vom Bund
«An den ETH-Standorten Lausanne und Zürich hat sich ein eigentlicher Raumfahrt-Cluster entwickelt», sagt Johann Richard, Leiter Förderaktivitäten Wirtschaft und Wissenschaft der Abteilung Raumfahrt im Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI.
Der Bund unterstützt die Schweizer Raumfahrtaktivität mit jährlich rund 250 Millionen Franken, davon rund 180 Millionen Franken im Rahmen der Programme der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Studien der ESA zeigten, dass pro investiertem Euro zwischen zwei und fünf Euro zusätzliche Wertschöpfung generiert würde. In den vergangenen fünf Jahren seien in der Schweiz über 40 Start-ups mit Bezug zur Raumfahrt entstanden und mit ihnen 300 neue Jobs, 150 davon allein in Lausanne, sagt Richard.
Für Ursula Oesterle, Vizepräsidentin für Innovation an der Lausanner EPFL, ist man in der Schweiz noch zu langsam. Andere Länder wie die USA oder Israel seien viel schneller darin, ihre Forschung kommerzialisieren, sagt sie: «Zeit ist ein Faktor, die Raumfahrt ist eine Goldgrube.»
Das stärkste Wachstum erfährt derzeit die Lausanner Firma Astrocast, der Börsengang soll diesem zusätzlichen Schub verleihen und vor allem frisches Kapital einbringen – insgesamt 50 Millionen Franken. Rasantes Wachstum birgt auch Risiken, wenn sich die Erwartungen nicht erfüllen. Sorgen macht sich Laurent Viera de Mello nicht: «Es liegen sicher noch viele Herausforderungen vor uns, doch das Interesse an unseren Systemen ist sehr gross.»