Die Schweizer Bevölkerung hat eine massive Lohnerhöhung zugute: Das sagen der Verband KV Schweiz und Angestellte Schweiz. Sie fordern für das kommende Jahr 300 Franken mehr pro Monat für Personen mit einem Monatslohn unter 4200 Franken und bis zu 4.5 Prozent für alle anderen.
Im Juni hatte der Gewerkschaftsbund bereits eine Lohnerhöhung von fünf Prozent für alle gefordert. Wie akut ist die Lage also?
Die grosse Sorge Reallohneinbussen
Gemäss Michel Lang von KV Schweiz sei es an der Zeit, dass die Arbeitnehmenden für ihre Produktivitätssteigerungen belohnt würden. Ansonsten drohten einschneidende Kaufkraftverluste
Und tatsächlich: Am Medianlohn von rund 6600 Franken brutto pro Monat hat sich in den letzten Jahren nur wenig geändert. Zusammengefasst besagt dieser: Die eine Hälfte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verdient mehr, die andere weniger.
In den vergangenen zehn Jahren machte das den Menschen nicht so stark zu schaffen; denn die Preise veränderten sich kaum. Der starke Anstieg bei der Inflation hat das nun aber geändert. Statt des Nominal- wird plötzlich der Reallohn entscheidend.
Das Resultat: Nie in den letzten 30 Jahren waren die realen Lohnverluste grösser als im letzten Jahr.
Angestellte Schweiz und der Kaufmännische Verband nennen die Lohnerhöhungen der vergangenen Jahre darum «bescheiden». Sie kritisieren zudem, dass nicht alle Unternehmen in der letzten Lohnrunde die Teuerung ausgeglichen hätten.
Angesichts eines «robusten Arbeitsmarktes» und «stabilen Konsumverhaltens» seien diese Entwicklungen ungerecht. «Viele Haushalte müssen Reallohneinbussen hinnehmen, während Unternehmen Gewinne ausschütten», schreiben sie in einer Mitteilung.
Bei 4443 Franken fängt der Tieflohnsektor an
Besonders von diesen Entwicklungen betroffen seien Menschen in den tiefen Lohnsegmenten. Sie könnten die steigenden Kosten nicht kompensieren. «Wir wollen verhindern, dass diese Menschen unter die Armutsgrenze rutschen», sagt Manuela Donati von Angestellte Schweiz.
Leider werden die steigenden Löhne zunichtegemacht durch die grassierende Teuerung.
Vom Tieflohnsektor spricht man in der Schweiz bei denjenigen Stellen, die für ein Vollzeitpensum weniger als 4443 Franken im Monat ausbezahlen. Im Jahr 2020 traf das gemäss dem Bundesamt für Statistik auf 10.5 Prozent aller Stellen zu. Dieser Wert ist in den vergangenen 15 Jahren ziemlich stabil geblieben – bzw. sogar leicht gesunken. Etwas unter einer halben Million Menschen besetzen diese Stellen – zwei Drittel davon Frauen.
Tieflohnsektor in der Schweiz
Gemäss Michel Lang von KV Schweiz habe man etwa bei den Löhnen im Detailhandel zwar eine erfreuliche Entwicklung feststellen können über die vergangenen Jahre. «Leider werden die steigenden Löhne aber zunichtegemacht durch die grassierende Teuerung.»
Arbeitgeber: Vorteil weiterhin bei den Angestellten
Auch Simon Wey, Chefökonom beim Arbeitgeberverband, findet, dass die Arbeitnehmenden in den letzten beiden Jahren keine grossen Sprünge gemacht hätten. Dennoch seien die Forderungen von KV Schweiz und Angestellte Schweiz illusorisch. «Die Arbeitgeber gehen bereits ans Limit, was die Lohnforderungen angeht.»
Die letzten beiden Jahre seien aufgrund der starken Inflation aussergewöhnlich gewesen. Nun sinke die Inflation aber wieder und ausserdem würden sich die Aussichten für die Wirtschaft trüben.
Die Arbeitnehmenden sieht er trotz der jüngsten Turbulenzen weiterhin in einer guten Ausgangslage. «Mit dem anhaltenden Fachkräftemangel hat sich die Position der Arbeitnehmenden weiter verbessert.»