Darum geht es: Am 1. Oktober bekommt die Schweiz ihr erstes Tabakproduktegesetz. Darin geht es um Regeln für den Konsum, den Verkauf und vieles mehr. Trotzdem debattiert das Parlament schon über eine Revision dieses Gesetzes. Der Hintergrund: Die Abgeordneten müssen die Volksinitiative «Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung» vom Februar 2022 umsetzen. Obwohl der Auftrag klar ist, läuft es schleppend. Im Februar diskutierte bereits der Nationalrat über die Vorlage und lehnte den Vorschlag ab. Jetzt nimmt der Ständerat einen neuen Anlauf. Eine Einigung? Zunächst nicht in Sicht. Mit ein Grund dafür ist die starke Lobby der Tabakindustrie.
Die Schweizer Tabakbranche: In der Schweiz haben sich drei der wichtigsten Tabakkonzerne weltweit angesiedelt: Philip Morris, Japan Tobacco International und British American Tobacco. Sie zahlen Steuern und schaffen gemäss einer Studie von 2017 etwa 6000 Arbeitsplätze und erwirtschaften – direkt und indirekt – rund ein Prozent des Schweizer Bruttoinlandsprodukts. Neben den allgemeinen Standortvorteilen wie der tiefen Steuerlast und der Stabilität bietet die Schweiz den Tabakkonzernen noch andere Vorzüge: So dürfen sie hierzulande Dinge, die anderswo nicht erlaubt sind – etwa nach dem Standard des Empfängerlands Zigaretten produzieren.
«Ein Grossteil der Produktion der Schweiz geht in die arabischen Länder beziehungsweise nach Nordafrika, und dort sind die gesetzlichen Vorschriften tiefer, was den Gehalt an beispielsweise Teer und anderen Stoffen anbelangt», sagt Wolfgang Kweitel von der Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention. Solche Zigaretten dürften in der EU nicht produziert werden.
Die Regulierung: In der Schweiz ist der Tabaksektor schwächer reguliert als in vielen anderen Ländern. Wolfgang Kweitel von der Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention erläutert: «Wir haben eine vergleichsweise tiefe Besteuerung, wir haben – auch mit dem neuen Gesetz ab 1. Oktober – lasche Regeln bei Werbung und Sponsoring, und wir haben eine schwache Regelung beim Passivrauchschutz.» Internationale Rankings bestätigen diesen Befund, etwa ein Ländervergleich der europäischen Krebsligen: Auf diesem «Tobacco Control Scale» landet die Schweiz auf Platz 36 von 37.
Das Lobbying: Es gelingt der Schweizer Tabakbranche vergleichsweise gut, ihr wirtschaftliches Gewicht in politischen Einfluss zu übersetzen. Auch dafür gibt es Ranglisten, etwa den internationalen Tabaklobby-Index: Wieder landet die Schweiz ganz hinten – auf Platz 89 von 90. Dabei spielen auch die allgemeinen Lobbystrukturen der Schweiz eine Rolle.
Martin Hilti, Geschäftsführer der Organisation Transparency International: «In der Schweiz ist Lobbying weitestgehend unreguliert. Es herrscht ungenügende Transparenz über die Lobbying-Tätigkeiten, es ist nicht gewährleistet, dass alle chancengleichen Zugang erhalten zur Politik, und drittens ist nicht gewährleistet, dass die Akteure sich integer verhalten müssen.» Anderswo, so Hilti, gebe es viel mehr Regeln: «In anderen Ländern muss teilweise jeder Kaffee, jedes Treffen mit einem Lobbyisten, einer Lobbyistin offen gelegt werden.»
Ein gutes Umfeld also für Interessenvertreterinnen und -vertreter. Und die Tabakindustrie nutzt den Spielraum: Sie sitzt im Vorstand des Wirtschaftsdachverbands Economie Suisse, ihre Interessenverbände sind Mitglied im Schweizerischen Gewerbeverband, und weil es nach wie vor gut 100 Tabakbauern in der Schweiz gibt, ist auch der Bauernverband meist auf Linie der Tabakbranche.