Wer die TikTok-App öffnet, will Videos schauen. Und um bei TikTok Videos zu schauen, muss man nur die App öffnen – ohne einen Knopfdruck fangen die Inhalte an zu spielen. Dasselbe jetzt auch bei Instagram: Wer dort zur «Reels» Funktion geht, sieht Videos, die ohne eigenes Zutun zu spielen beginnen.
«Autoplay» heisst dieser Mechanismus und er ist nicht unumstritten: «Das Thema ist im UX-Bereich seit jeher ein Dorn im Auge», weiss der UX-, also User-Experience-, Fachmann Michael Richter. Denn so werde ein wichtiges Usability-Prinzip verletzt: die Kontrollierbarkeit. «Damit ist gemeint, dass wir als Nutzer die Technik kontrollieren möchten und nicht umgekehrt», so Richter.
Autoplay soll die Nutzenden an die Plattform binden
Wer eine App wie TikTok oder Instagram öffnet, tut das aus einem bestimmten Grund – aus Langeweile zum Beispiel. Als Nächstes ist in der Regel eine Aktion nötig, um das Bedürfnis zu befriedigen – also den Play-Button eines Videos zu drücken. Autoplay nimmt einem diese Aktion ab und in einem zweiten Durchgang auch gleich den Grund, in der App zu bleiben: Weil die Inhalte dort sowieso schon spielen, schaut man halt noch ein wenig länger zu – und noch länger, und noch länger ...
Für die Plattformen lohnt sich das: «Autoplay soll die Nutzenden animieren, mehr Zeit auf der Plattform zu verbringen, mehr Daten zu hinterlassen, mehr Werbung zu konsumieren und dadurch Umsatz zu generieren», glaubt der Psychologe Andreas Sonderegger, der sich mit Technikgestaltung und Nutzererleben befasst.
Bei Instagram und TikTok ist Autoplay Pflicht
Die Autoplay-Funktion findet sich nicht nur bei TikTok oder Instagram: Auch YouTube lässt je nach Einstellung auf ein Video direkt das nächste folgen. Und auch die Video-Streaming-Plattform Netflix spielt nach dem Ende einer Serien-Episode gleich die folgende und lässt Vorschau-Videos auf der Übersichtsseite ohne menschliches Zutun zu spielen. Allerdings kann die Autoplay-Funktion bei YouTube und Netflix auch deaktiviert werden – im Gegensatz zu TikTok und Instagram.
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Nicht nur bei Design-Fachleuten wird Autoplay kritisch betrachtet, auch bei vielen Nutzerinnen und Nutzern ist der Mechanismus nicht beliebt. Doch Apps, Plattformen und Webseiten können damit nicht nur ihr Publikum länger an sich binden, sondern auch die eigenen Zugriffsahlen in die Höhe treiben. Denn oft wird ein Video schon als geschaut gezählt, selbst wenn es nur ein paar Sekunden gelaufen ist. Und weil die ersten Sekunden eines Videos oft mit Reklame bestückt sind, steigen so auch die Werbe-Einnahmen.
Es hilft nur Selbstkontrolle
In den USA hat der republikanische Senator Josh Hawley mit dem «SMART-Act» einen Gesetzesentwurf «zur Eindämmung von süchtig machenden und betrügerischen Techniken, mit denen Tech-Giganten Nutzer ausbeuten» eingebracht. Zu den Techniken, die damit verunmöglicht werden sollen, gehört auch die Autoplay-Funktion. In Grossbritannien gibt es ebenfalls entsprechende politische Vorstösse.
Solange Autoplay aber in Gebrauch bleibt und auf immer mehr Plattformen und in immer mehr Apps Einzug hält, müssen Nutzerinnen und Nutzer ihr Online-Verhalten selbst kontrollieren. Wem das schwerfällt oder seine Kinder nicht in die Autoplay-Falle laufen lassen will, kann in den Smartphone-Einstellungen auch Zeitlimits für einzelne Apps oder den Smartphone-Gebrauch an sich festlegen.