Es ist ein Dauerthema auf dem Schweizer Arbeitsmarkt: der Fachkräftemangel. Für Unternehmen bleibt es schwierig, gut ausgebildete Kräfte zu binden. Um den Mangel zu entschärfen, möchten Politik und Wirtschaft das inländische Erwerbspotenzial besser nutzen. Angestellte in einem Teilzeitverhältnis sollen ihre Pensen erhöhen, Pensionierte über das Rentenalter hinaus arbeiten und Nichterwerbstätige in den Arbeitsmarkt eintreten.
Doch die Realität sieht anders aus. Für Arbeitnehmende ist die Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung zentral. Erwerbstätige wollen ihr Pensum immer öfters reduzieren. Zu diesem Schluss kommt eine repräsentative Umfrage von Swissstaffing, der Dachorganisation der Stellenvermittler. Das Bedürfnis nach tieferen Pensen sei in allen Branchen zu beobachten und sei unabhängig vom Geschlecht.
Gefahr der Abwanderung
Da Arbeitnehmende ihre Bedürfnisse auf dem Arbeitsmarkt zunehmend durchsetzen könnten, nimmt der Druck auf Arbeitgeber zu. Die Gefahr der Abwanderung ist laut Swissstaffing real. Obwohl die Mehrheit der Erwerbstätigen mit ihrem Arbeitsplatz zufrieden ist, wäre fast die Hälfte bereit, bei passender Gelegenheit die Stelle zu wechseln.
Die Schweiz ist international das einzige Land, in dem es mehr Personen gibt, die gerne weniger arbeiten würden als solche, die mehr arbeiten wollen.
Der Trend zu mehr Teilzeitarbeit beschert der Schweiz im länderübergreifenden Vergleich einen Sonderplatz. «Die Schweiz ist international das einzige Land, in dem es mehr Personen gibt, die gerne weniger arbeiten würden als solche, die mehr arbeiten wollen», erklärt Michael Siegenthaler, Arbeitsmarktexperte bei der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich.
Ein Grund dafür ist, dass in der Schweiz bereits viel gearbeitet wird. Die Jahresarbeitszeit bei Vollzeitbeschäftigung sei hoch, so Siegenthaler. Des Weiteren seien Frauen in der Schweiz gut in den Arbeitsmarkt integriert. Dies führt dazu, dass die Arbeitsstunden pro Erwerbstätigen kontinuierlich sinken, aber immer mehr Personen am Erwerbsleben teilnehmen.
Augenfällig ist der Unterschied zu den USA. In den Staaten leistet ein Erwerbstätiger rund 300 bis 400 Arbeitsstunden mehr pro Jahr als in der Schweiz oder Deutschland. Die Beschäftigungsquote in den USA liegt jedoch deutlich unter jener der europäischen Länder.
Herausforderungen für Arbeitgeber
Auf Arbeitgeberseite ist der Wunsch nach Teilzeitarbeit mit erhöhtem Aufwand verbunden. Zu beobachten ist das beispielsweise in der Baubranche, welche in jüngster Vergangenheit vom Teilzeittrend erfasst wurde. «Der Koordinationsaufwand ist sehr gross», sagt Lukas Vatter, der eine Schreinerei im zürcherischen Dielsdorf führt.
«Die Montage auf einer Baustelle kann nicht einfach unterbrochen werden, sonst ist man nicht mehr im Zeitplan», führt der Schreiner weiter aus. «Es muss zusätzliches Personal organisiert werden, damit der Wissenstransfer auf der Baustelle funktioniert. All das kostet ein Unternehmen unter dem Strich mehr.»
Trotzdem fällt für Swissstaffing das Fazit klar aus. Teilzeitarbeit gebe den Arbeitnehmenden die Flexibilität, das Pensum auf die persönlichen Bedürfnisse abzustimmen. Und Siegenthaler fügt an: «Teilzeitarbeit ist ein Wohlstandsphänomen. Wir können es uns leisten, weniger zu arbeiten.»