- In allen Industrieländern hat die Inflation in den letzten Monaten angezogen.
- Doch die Geldentwertung verläuft sehr unterschiedlich, obschon die Voraussetzungen für alle Staaten gleich sind.
- Ökonomen sind sich nicht einig über die Gründe, weshalb das so ist.
Plus 5.4 Prozent in den USA, plus 3.7 Prozent in Deutschland, plus 0.7 Prozent in der Schweiz. Überall wird das Geld weniger wert, wenn auch in sehr unterschiedlichem Mass, wie die Inflationsrate vom Juli im Jahresvergleich zeigt. Das erstaunt, denn für alle Länder gelten die gleichen Rahmenbedingungen wie hohe Ölpreise oder der Stau in den Lieferketten.
Es ist die unterschiedliche fiskalpolitische Reaktion auf die Pandemie.
Zunächst einmal sei es nicht ungewöhnlich, dass es unterschiedliche Entwicklungen beim Preisniveau gibt, sagt Adalbert Winkler, Finanzprofessor von der Frankfurt School of Finance. Das habe es auch vor der Pandemie gegeben. Dass die Unterschiede jetzt aber deutlich grösser ausfallen, habe vor allem einen Grund: «Es ist die unterschiedliche fiskalpolitische Reaktion auf die Pandemie», ist er überzeugt.
USA buttern Billionen in die Wirtschaft
Die Unterschiede seien dramatisch, sagt Winkler. So hätten etwa die USA viel mehr Geld in Konjunktur- und Infrastrukturprogramme gesteckt als andere Staaten, um die Corona-gebeutelte Wirtschaft wieder anzukurbeln. Im Gegenzug würden dafür sehr hohe Defizite aufgebaut, die USA würden sich im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung also sehr hoch verschulden.
Ganz anders sei dagegen die Situation in der Schweiz. Sie verbuche auch im laufenden Jahr vergleichsweise moderate Defizite. «Der Staat in den USA unterstützt die Nachfrage in einem erheblich grösseren Ausmass, als es in der Schweiz der Fall ist.» Da sei es nicht verwunderlich, dass die Inflationsrate auch erheblich höher sei, als in der Schweiz oder in Europa, so Winkler.
Europa hinkt den USA hintennach
Die Argumentation des Finanzprofessors vermag Christian Gattiker, Chefstratege der Bank Julius Bär, nicht zu überzeugen. Er hält vielmehr die unterschiedliche Öffnungsgeschwindigkeit der Volkswirtschaften nach der Corona-Pandemie für wichtiger.
Mit einer gewissen Verzögerung sehen wir die Verknappung der Güter jetzt in Europa.
Im zweiten Quartal 2020 sei den Volkswirtschaften weltweit der Stecker gezogen worden, sagt er. Als erste sei dann die Wirtschaft in den USA ein Jahr später wieder in Gang gekommen. Weil viele Güter knapp waren, stiegen die Preise. «Mit einer gewissen Verzögerung sehen wir das jetzt nach Europa überschwappen.»
Im Übrigen sei die Messung der Inflation – und damit der Vergleich zwischen Ländern – schon in normalen Zeiten eher schwierig, weil die Messung nicht harmonisiert sei, so Gattiker. Gerade was die Konsumentenpreise betreffe, werde sehr unterschiedlich gemessen.
Momentan unsichere Datenlage
Im Moment sei die Messung der Inflationsraten besonders schwierig. «Wir hatten in den letzten 30 Jahren nie eine so ungenaue und unsichere Datenlage. Es ist wohl eine historisch nie dagewesene Situation.» Das sei nicht weiter schlimm.
Doch Gattiker warnt davor, zu viel in die Daten hineinzuinterpretieren. Wie sein Ökonomen-Kollege Winkler – und die Mehrzahl der Zunft – hält Gattiker die starken Ausschläge nach oben bei der Inflationsrate für vorübergehend.
Ob daraus ein Problem für die Wirtschaft wird, also das Preisniveau dauerhaft steigt, das werde man ohnehin erst in einigen Monaten beurteilen können.