SRF News: Ist die vierte industrielle Revolution für den Wirtschaftsplatz Schweiz Grund zur Freude oder zur Sorge?
Thomas D. Meyer: Wenn WEF-Gründer Klaus Schwab von einer Revolution spricht, hat er eine technologiegetriebene Beschleunigung vor Augen, die so niemand vorausgesehen hat. Naturgemäss gibt es dabei Gewinner und Verlierer. Im Grundsatz müssen sich aber alle hiesigen Unternehmen die Frage stellen: Bin ich in der Lage, die Veränderungen, die stattfinden, mitzugestalten, oder findet die Innovation an einem ganz anderen Ort statt und überrumpelt mich irgendwann.
Welche Schweizer Unternehmen haben angesichts der Umwälzungen den schwierigsten Stand?
In erster Linie sind die Geschäftsmodelle unter Druck, die intermediär abgestellt sind. Also Unternehmen, die ihr Produkt oder ihre Dienstleitung nicht dem Endkunden verkaufen, sondern im Vertrieb auf Intermediäre setzen.
Denken Sie etwa an die die Uhren- oder Kleidergeschäfte an der Zürcher Bahnhofstrasse. Jede Marke hat mittlerweile ihr eigenes Geschäft, die Allesanbieter sind unter Druck. Das heisst, produktgetriebene Unternehmen suchen vermehrt den Weg direkt zum Kunden, sei das online oder im physischen Betrieb.
Warum ist der direkte Kontakt zum Kunden wichtig?
Wenn die Produzenten und Dienstleister, so wie zum Beispiel in der Versicherungs- oder Automobilbranche, ihren Vertrieb nicht vollständig unter Kontrolle haben oder diesen aus der Hand geben – an Firmen wie Amazon zum Beispiel – kennen sie ihren Endkunden nicht gut genug.
Das ist sehr riskant, Versicherer kennen wohl die Adresse zur Police oder zum Schadenfall, nicht aber wirklich den Kontext und die Umgebung von Herrn Meyer. Diese Informationen liegen bei Amazon oder beim Agenten, und dieser ist sich des Wertes solcher Informationen sehr bewusst und wird sie nicht einfach so aus der Hand geben.
Denken Sie an google maps oder doodle, die in der Schweiz erfunden wurden.
Das sind trübe Aussichten für den Schweizer Handelsplatz…
Die industrielle Revolution kann handkehrum auch eine Chance sein. Durch die neuen Technologien eröffnet sich für die Unternehmen die Möglichkeit, den Endkunden wieder näher kennenzulernen. Ziel muss sein, dass wir wieder direkt und aus der Schweiz heraus globale Märkte bedienen. Nicht nur unser hoher Anspruch an das Produkt und die Dienstleistung, sondern auch einschlägige Erfahrungen spielen uns hier in die Hände. Viele Schweizer KMU sind exportorientiert, während etwa die grossen amerikanischen Firmen über wenig Wissen im internationalen Handel verfügen.
In Sachen Firmenneugründungen haben uns die Amerikaner aber auch etwas Wichtiges voraus: Für sie ist ein gescheitertes Startup ‹part of the game›, für uns Schweizer ein Grund zum Schämen.
Das ist so, wir haben keine Fehlerkultur. Dazu kommt, dass viele Start-Up's allzu früh einen Exit suchen. Wenn sie auch etwas entwickeln, das die Welt erobern könnte, geben sie sich mit dem Schweizer Markt zufrieden.
Denken Sie an google maps oder doodle, die in der Schweiz erfunden wurden. Statt auf anhaltende Selbständigkeit zu setzen, haben es die Erfinder eventuell etwas zu früh verkauft. Die Initiative Digital Zurich 2025 – die aus der Limmatstadt ein zweites Silicon Valley machen will – zielt insofern in die richtige Richtung. Sie will nicht nur eigene Ideen im Land behalten, sondern auch dazu beitragen, dass Ideen vom Ausland in die Schweiz kommen.
Was, wenn die Industrialisierung 4.0 auch den Kapital-, Finanz- und Börsenplatz erreicht? Übernehmen die Maschinen auch das Spekulieren? Und bedeutete das dann nicht in letzter Konsequenz das Ende der Spekulation?
Es ist ein realistisches Szenario, dass sich der Finanzmarkt fundamental verändert und Teile davon auch verschwinden. Dies aber nicht genuin wegen der Technologisierung, sondern wegen der Überregulierung. Schon jetzt finden sich viele Marktteilnehmer ausserhalb des offiziellen Marktplatzes. Im Crowdfunding, in peer-to-peer-loanes (Geschäft unter Privatpersonen ohne Zutun einer Bank – Anm. d. Red.), wo es wenig Regulationen gibt.
Die öffentliche Hand schützt einen Markt, der vielleicht bald gar nicht mehr relevant ist.
Das ist bedenklich, weil es den Gedanken hinter den Regeln – die Investoren und Konsumenten zu schützen – ad absurdum führt: Es gibt mehr und mehr Quereinsteiger, die keinen Restriktionen unterstehen und den klassischen Playern das Geschäft wegnehmen. Und die öffentliche Hand schützt einen Markt, der immer kleiner wird und vielleicht bald gar nicht mehr relevant ist.
Accenture hilft Unternehmen, die Industrie 4.0 zu implementieren. Wenn ihr Unternehmen allzu perfekt hilft, haben sie dann bald leere Auftragsbücher?
Ja und nein. Tatsächlich haben wir im 2000 den Börsengang im Bewusstsein gemacht, dass das Beratungsgeschäft ein endliches ist. Aber wir haben ja noch zwei andere Geschäftsbereiche: Technologie und Operations. Wir betreiben bestimmte Geschäftsprozesse und bieten diese auf dem Markt an. In diesem Sinn sehen wir unsere Zukunft vor allem als Professional Services Company.
Das Gespräch führte Christine Scherrer