Keine Rede, keine Podiumsdiskussion und kein Smalltalk unter den WEF-Teilnehmerinnen und -Teilnehmern, ohne dass das Wort «Inflation» fällt. Dieser Eindruck vor Ort bestätigt sich auch in Umfragen. Führungskräfte bezeichnen die Inflation als grösste Bedrohung für ihr Unternehmen. Oder präziser gesagt: als grösste kurzfristige Bedrohung.
Das erstaunt nicht sonderlich, denn die allgemeine Preissteigerung bindet in den Betrieben enorme Ressourcen. Intensive Verhandlungen mit den Zulieferfirmen, über den neuen fairen Einkaufspreis. Intensive Verhandlungen mit den Gewerkschaften und der Belegschaft über Lohnerhöhungen. Intensive Bemühungen, am Markt höhere Preise durchsetzen zu können, sodass die Margen nicht einbrechen.
Keine Mittel
Der aktuelle Fokus auf die Inflation birgt aber die Gefahr, dass die Unternehmen ihre langfristigen, strategisch wichtigen Ziele aus den Augen verlieren: etwa die Transformation zu einem umweltschonenden Geschäftsmodell, die Investition in Innovation, die Digitalisierung, die Entwicklung einer modernen Firmenkultur, die in Zeiten von Fachkräftemangel immer wichtiger wird.
Es ist nicht so, dass sich die Wirtschaftskapitäne dieser Problematik nicht bewusst wären. Aber gerade kleinere Firmen mit geringerer Marktmacht haben kaum Ressourcen, gleichzeitig Troubleshooting zu betreiben und in die Zukunft zu investieren.
Keine Party-Stimmung
Kurzfristig leiden alle, aber langfristig dürften vor allem marktmächtige Grosskonzerne gestärkt aus dieser Krise kommen. Zum einen können sie ihre gestiegenen Kosten leichter auf die Kundschaft abwälzen. Und zum anderen sind sie weiterhin fähig, ihre strategischen Ziele zu verfolgen. Dieses antizyklische Verhalten verschafft ihnen in der Zukunft Wettbewerbsvorteile gegenüber manch einem KMU.
Am WEF ist keine Party-Stimmung aufgekommen. Zu stark wird die Atmosphäre vom Krieg in der Ukraine und von weiteren Krisenherden getrübt. Aber die Firmen-Chefinnen und -Chefs in Davos zeigen sich dennoch optimistisch. Doch dies ist kaum repräsentativ, da viele von ihnen eben für mächtige Konzerne arbeiten. Entsprechend trumpfen sie an den zahlreichen Veranstaltungen über Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Firmenkultur auch gross auf. Sie können es sich weiterhin leisten, dort zu investieren.