Zürich ist derzeit bunter als sonst. An den Gebäuden von Swiss Re oder der übernommenen Credit Suisse wehen Regenbogenfahnen. Im Migros-Supermarkt am Hauptsitz heisst es über dem Früchteregal auf farbigen Holzpaneelen «Wir leben Vielfalt». Und Swiss und Swisscom haben in den sozialen Medien ihr Logo entsprechend verändert.
Mehr Zurückhaltung der Unternehmen
Dennoch war es bei den Unternehmen rund um den «Pride Month» schon bunter. Andrea Bison von der Zürcher Werbeagentur «thjnk» beobachtet, dass Unternehmen ihre Aktivitäten nach aussen zurückhaltender kommunizierten.
Es wird sehr genau hingeschaut, was bei den Unternehmen passiert und was nicht.
Das bedeute nicht, dass sich die Unternehmen deswegen weniger engagieren, sagt Bison, doch:
«Die Unternehmen sind vorsichtiger geworden, weil von den Interessensvertretern nicht mehr alles automatisch positiv bewertet und goutiert wird, was gemacht wird. Sondern es wird sehr kritisch genau hingeschaut, was bei den Unternehmen passiert und was eben noch nicht passiert.»
«Unter Beschuss von rechts»
Ein Umdenken der Unternehmen stellt auch Roman Heggli fest. Er ist Geschäftsführer von Pink Cross, dem Dachverband der schwulen und bisexuellen Männer.
Heggli sieht, dass sich Unternehmen mehr bemühen, tatsächlich etwas für Ihre Communities zu tun, anstatt nur mit dem regenbogenfarbigen Logo präsent zu sein.
Aber er fügt hinzu: «Andererseits besorgt es mich, dass viele Firmen plötzlich unter Beschuss kommen, auch von rechts, weil sie sich klar positionieren. Und hier habe ich ein bisschen Sorge, dass die Firmen jetzt zurückhaltender werden aus Angst vor negativen Konsequenzen.»
Unternehmen geben sich standhaft
Die Debatte hat sich in den vergangenen Monaten merklich aufgeheizt. Das zeigt der Gender-Tag in Stäfa, der wegen Drohungen gegen die Schule abgesagt wurde, oder die Vorlesestunde für Kinder mit Dragqueens in Zürich, die unter Polizeischutz stattgefunden hat.
SRF hat mehrere Unternehmen angefragt. Alle verneinen, dass der Gegenwind eine Zurückhaltung bewirken würde. Die Airline Swiss schreibt: «Negative Stimmen halten uns nicht davon ab, uns weiterhin für das Thema zu engagieren.» Von Migros heisst es: «Kontroversen gehören zu einer demokratischen Gesellschaft, sie hat Pro- und Kontra-Argumente zu ertragen.»
Die ZKB betont, dass sie ihr Engagement in diesem Jahr sogar ausgebaut habe. Und Ikea nimmt an noch mehr Demonstrationsumzügen teil.
In den USA hat der Widerstand gegen LGBTQ schon Wirkung gezeigt. Die Einzelhandelskette Target entfernte «queere» Produkte wieder aus den Läden, nachdem Drohungen überhandgenommen hatten.
In der Schweiz führt das Warenhaus Manor ein wachsendes Sortiment an farbigen Pride-Artikeln: von Fahnen über Feldflaschen bis hin zu Socken. Die Nachfrage nach Produkten und Accessoires für den Pride Month steige.
«Die Feedbacks von unseren Kundinnen und Kunden über das Sortiment ist bisher sehr positiv», schreibt Manor auf Anfrage von SRF.
Bunter Anstrich genügt nicht
Unternehmen könnten heute nicht einfach nur ein Logo in Regenbogenfarben kommunizieren und im Hintergrund nichts tun, sagt die Werbefachfrau Andrea Bison. Zu ihren Kunden gehören Firmen wie Sunrise, Ochsner Sport oder Denner.
Sie beobachte eine ähnliche Entwicklung wie bei der Werbung für Nachhaltigkeit, die oft als «Greenwashing» bezeichnet wurde, also der Versuch von Firmen, sich durch PR-Massnahmen als besonders umweltbewusst darzustellen. Das funktioniere heute nicht mehr, weil genauer hingeguckt werde.
Auch beim Thema Diversität heisse das für die Unternehmen: «Taten statt Worte.»
Mehr Mut ist gefragt
Persönlich findet Andrea Bison, bei aller Zurückhaltung der Firmen: «Wir sollten alle gemeinsam mutiger sein und den Diskurs suchen, um in den Köpfen der Menschen etwas zu bewegen.» Vorwärtskommen könne man nur über Gespräche und Auseinandersetzung mit dem Thema Diversität: «Mit wegducken, sich verstecken oder auch nicht darüber sprechen erreichen wir keine Veränderung.»