Welchen Standpunkt vertritt die Schweiz? Bundesrat Ignazio Cassis schliesst das Verwenden der gesperrten russischen Vermögen nicht aus. «Schäden, die verursacht werden, müssen vom Aggressor repariert werden. Dieses Prinzip gilt», so der Aussenminister. Doch momentan gebe es in der Schweiz keinen rechtlichen Rahmen für die Beschlagnahmung von eingefrorenen Geldern.
Warum ist eine Enteignung problematisch? «Für eine Konfiszierung fehlen heute die rechtlichen Grundlagen», schreibt die Schweizerische Bankiervereinigung auf Anfrage. Es handle sich um eine staatspolitisch und rechtsstaatlich relevante Frage, die von der Politik vertieft geklärt werden müsste. Doch: «Die Schweiz sollte auf jeden Fall in Bezug auf sämtliche Sanktionsmassnahmen weiterhin keinen Alleingang machen, sondern weiterhin international abgestimmt vorgehen.»
Welche Länder haben bereits Massnahmen beschlossen? Kanada hat jüngst angekündigt, 26 Millionen Dollar von Roman Abramowitsch zu beschlagnahmen und der Ukraine für den Wiederaufbau zu überweisen. Erstmals greift ein G7-Staat zu einer solch drastischen Massnahme. Kroatien plant ähnliches und will eine Yacht eines Putin-Vertrauten zuhanden der Ukraine versteigern. Auch die EU-Kommission hat einen Vorschlag gemacht, der in die Richtung von Enteignungen geht. Der US-Senat hat kurz vor Weihnachten ebenfalls einen typähnlichen Antrag durchgewunken.
Was sagen Expertinnen und Experten dazu? Für Gretta Fenner, Expertin für die Rückführung illegal erworbener Vermögenswerte, ist eine Enteignung von russischen Vermögenswerten heikel. Die Tatsache, dass Kanada russische Vermögenswerte einziehen will, nur weil sie sanktioniert sind, ist für Fenner problematisch. «Das entspricht meiner Ansicht nach einer Art von Enteignung, die man sonst aus Diktaturen kennt.»
Anders sieht es der US-Investor und Anti-Russland-Aktivist Bill Browder. «Sämtliche gesperrte russische Gelder sollten nicht nur eingefroren, sondern beschlagnahmt werden.» Danach sollen sie in die Verteidigung und den Wiederaufbau der Ukraine fliessen, so Browder. Denn Putin habe dieses Problem geschaffen und dafür solle er bezahlen.
Welche Möglichkeiten hat die Schweiz? «Eine Idee, welche die EU auch angehen könnte, ist die Umgehung der Sanktionen im Gesetz als Vortat für Geldwäscherei einzuführen», erklärt Fenner. Dann könnte man einzelne Gelder, die Tatbestand dieser Umgehung sind, einziehen. «Andererseits könnte die Schweiz den Strafverfolgungsbehörden mehr Mittel zur Verfügung stellen, um in den sanktionierten Geldern Gelder zu finden, die tatsächlich aus einer Finanzkriminalität stammen», so die Expertin. Die Gelder könnten so über das Geldwäschereigesetz rechtsstaatlich eingezogen werden.
Was sagt die Schweizer Politik dazu? Es ist momentan schwierig, im vorwiegend bürgerlichen Parlament eine politische Mehrheit für Enteignungen zu erlangen. Im Parlament erhielt die Forderung der SP nach einem Einzug der Vermögen von sanktionierten Personen aus Russland und Belarus im Juni mit 78 zu 103 Stimmen keine Mehrheit. SVP, FDP und die meisten Mitglieder der Mitte-Fraktion lehnten den Vorstoss ab.