Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert. Manch Vagabund hat den Ausspruch mehr oder minder erfolgreich zum Lebensmotto erkoren. Für die Privatwirtschaft will er nicht so recht taugen; die reine Weste gehört hier zum Geschäft.
Schmerzhafte Erfahrung mit kommunikativem Grossreinemachen hat auch die Swissair. Jahrzehntelang galt die Airline als Inbegriff schweizerischer Unternehmenskultur und Professionalität – zur Jahrtausendwende legte sie ein spektakuläres Grounding hin.
Der Konkurs der traditionsreichen Fluggesellschaft brannte sich tief in das kollektive Gedächtnis der Schweiz ein. Für viele kam er einem nationalen Trauma gleich. Die Durchsage am Flughafen Zürich: «Meine Damen und Herren, liebe Fluggäste. Aus finanziellen Gründen ist die Swissair nicht mehr in der Lage, ihre Flüge durchzuführen», hallt bis heute nach.
Legendäre Krisenmanagerin
Der vielleicht grösste Kollaps in der Schweizer Wirtschaftsgeschichte kam mit Ankündigung. Als es auch an der PR-Front lichterloh brannte, war die damalige Kommunikationschefin der Airline, Beatrice Tschanz, mit Löscharbeiten beschäftigt. Mit Löwenmut verteidigte sie die Swissair und ihre Chefs gegen medialen Unbill – und kämpfte ums Überleben der nationalen Airline.
Zum Inbegriff ehrlicher Kommunikation, gerade in stürmischen Zeiten, war Tschanz bereits 1998 beim Absturz von Swissair-Flug 111 bei Halifax geworden. Heute, vierzehn Jahre nach dem Grounding, hat sich die Nachfolgerin Swiss nicht nur erholt. Sie stieg wie Phönix aus der Asche in den internationalen Luftraum auf – mittlerweile gehört sie in der Flotte der Muttergesellschaft Lufthansa zum Tafelsilber.
Salami-Taktik bringt nichts
In Turbulenzen anderer Art ist der deutsche Volkswagen-Konzern geraten. Doch nach dem Abgasskandal strebt auch er einen imagemässigen Turnaround an. Dabei attestiert die krisenfeste Krisenmanagerin dem Weltkonzern, zumindest für die letzte Wochen, Fortschritte.
Die kommunikative Salami-Taktik des Automobilriesen – aus «Dieselgate» wurde ein Abgasskandal, der immer weitere Modelle betraf – sieht Tschanz jedoch kritisch. «Ehrlichkeit in Krisenzeiten ist die einzige Wahl», so die 71-Jährige. Bad News portionieren zu wollen, sei ein Irrweg: «Wenn man gesicherte Fakten hat, muss man diese auch kommunizieren.»
Denn sobald der öffentliche Furor anschwillt, sei die Zeit der Heimlichkeiten ohnehin vorbei. «Die Medien verbeissen sich in jedes Detail. Es kommt alles raus», so die erfahrene Kommunikatorin. «Und wenn ein Unternehmen scheibchenweise Dinge zugeben muss, geht das auf Kosten der Glaubwürdigkeit.»
VW braucht professionelle Hilfe
Sehenden Auges rauscht Volkswagen jedoch nicht in ein PR-Fiasko. Seit Bekanntwerden der Vorwürfe setzt der Konzern auf kommunikative Rückendeckung renommierter, international tätiger PR-Agenturen. Ein sinnvoller Schritt? «Es gibt ausgezeichnete Büros. Es ist richtig, sich in so einer Situation professionelle Hilfe zu holen.»
Die Sicht von aussen ist für Tschanz fundamental wichtig für die Konzernspitze, die selbst im Auge des Sturms steht. Denn: «In einem grossen Konzern ist niemand mehr grundehrlich mit der obersten Spitze.»
Ein «wunderbares Beispiel» dafür lieferte VW gleich selbst, so Tschanz: Die Ingenieure scheuten sich davor, zuzugeben, dass sie die Abgaswerte nicht einhalten können. «Leute von aussen haben diese Hemmschwelle nicht. Sie können sehr viel offener und aggressiver die Wahrheit präsentieren, als im Arbeitsverhältnis stehende Mitarbeiter», urteilt Tschanz.
Die Wurzel allen Übels liege denn auch in der Unternehmenskultur: «Sie kennen ja den Spruch: ‹Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken.» Aber wenn in einem Konzern wichtige Mitarbeiter den Vorgesetzten nicht reinen Wein einschenken könnten, sei das eine kulturelle Frage im ganzen Unternehmen.
Ob künftig wieder, wie es die Werbung verspricht, «aus Liebe zum Automobil» und nicht aus Angst vor der Chefetage gewerkelt wird, muss die Zeit weisen. Tschanz sieht VW indes mit seiner neu angelaufenen Kommunikationsoffensive auf gutem Weg.