SRF News: Wie profitiert der Durchschnittseuropäer vom TTIP-Abkommen?
Thomas Cottier: Der Durchschnittseuropäer wird vor allem durch einen verbesserten Marktzugang der europäischen Industrie in den USA profitieren. Zum Beispiel beim öffentlichen Beschaffungswesen – also der Verkauf von Gütern und Dienstleistungen nicht nur an die Zentralregierung, sondern auch an die Regierungen der verschiedenen US-Bundesstaaten. Das sind grosse Summen, die etwa auch für die schweizerische Wirtschaft sehr wichtig sind. Und es werden Vergünstigungen in Produktepreisen entstehen, indem TTIP mit gemeinsamen Normen Vereinfachungen schafft, so zum Beispiel für die Automobilindustrie.
Die USA sind eine wichtige Lokomotive der Weltwirtschaft.
Wenn man nun aber Studien zu TTIP vergleicht, so fällt auf, dass die erhofften Beschäftigungseffekte unter dem Strich winzig sind…
Es ist sicher besser, wenn man in der Beurteilung vorsichtig ist und nicht übertreibt. Aber ich glaube, dass es für die Beschäftigungslage in Europa, also für den Abbau der Arbeitslosigkeit, ganz wichtig ist, dass der Zugang zum amerikanischen Markt verbessert wird. Denn die USA sind nach wie vor eine wichtige Lokomotive der Weltwirtschaft.
Gegen Jugendarbeitslosigkeit ist jedes Mittel recht.
Das heisst, die Wachstumseffekte sind nicht nach Abschluss des Abkommens sichtbar, sondern vielleicht erst in 10 bis 15 Jahren?
Es war immer so, dass Handelsabkommen nicht am nächsten Tag solche Wirkungen entfalten. Das braucht auch Folgeinvestitionen und so weiter. Und wenn Sie daran denken, dass die EU vor allem vor der Herausforderung einer hohen Jugendarbeitslosigkeit steht, dann ist jedes Mittel recht, um diese abbauen zu können.
Das wäre die klassische Theorie der Ökonomen: Handel erleichtert Innovationen, mehr Wettbewerb sorgt für tiefere Preise?
Das stimmt nach wie vor. Wir brauchen Regeln, die die ohnehin stattfindende Globalisierung ins Recht fassen. Heute sind solche Verhandlungen vor allem auch Verhandlungen zur Regulierung des Handels, nicht mehr einfach zur Liberalisierung. Das hat die Öffentlichkeit vielleicht noch zu wenig zur Kenntnis genommen.
Woher rührt denn die grundlegende Ablehnung des TTIP – gerade in Europa?
Das Problem liegt meines Erachtens darin, dass wir die neuen Verfahrensformen, die es braucht, um solche komplexen Abkommen abzuschliessen, noch nicht gefunden haben. Sie werden in der traditionellen Form ausgehandelt, mit Handelsverträgen auf Exekutivebene, mit Regierungen und Diplomaten, und kommen dann erst später in die Parlamente und in die zivilgesellschaftliche Diskussion. Angesichts der Themen, die heute behandelt werden, die stark in die Innenpolitik hineingreifen, ist dieses Verfahren eigentlich nicht mehr angemessen. Es gibt noch kein Zusammenspiel von Exekutive, Parlament und Zivilgesellschaft.
Nun kennt der Freihandel aber auch immer Verlierer. Wer verliert mit TTIP?
Die Liberalisierung des Agrarhandels wird für viele Länder Herausforderungen bringen, wie sie auch für die Schweiz grosse Herausforderungen in der Restrukturierung bringt. Das wird dann wiederum die Kohärenz der Politik innerhalb der EU antreiben müssen, um den inneren Ausgleich wieder herzustellen. Solche Abkommen sind langfristig immer mit Strukturveränderungen verbunden. Es geht im Grunde darum, dass man hier durch Ausbildung und Neuausrichtung die Arbeitskräfte darauf vorbereitet, diesen Wandel dann auch zu meistern.
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Man ist sich einig, dass Europas Wirtschaft dringend Impulse braucht. Was passiert, wenn dieses Abkommen scheitert?
Die Welt geht nicht unter. Die Handelsbeziehungen mit den USA werden auf der Grundlage des WTO-Rechtes und der anderer Freihandelsabkommen mit anderen Ländern weitergeführt. Aber mit den USA fehlen dann die Möglichkeiten, um die Führerschaft im Setzen von Normen wahrzunehmen. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Handel zwischen der EU und den USA 30 Prozent des Welthandels ausmacht. Die beiden Länder leisten 50 Prozent des Weltbruttosozialproduktes. Die Standards, die die USA und die EU zusammen aushandeln, werden auch die künftigen, sogenannten Goldstandards sein. Die USA und die EU haben hier die Möglichkeit, diese nach ihren Werten – auch unter Berücksichtigung der Menschen- und Arbeitnehmerrechte sowie der Umwelt – auszugestalten, was beispielsweise in den Verhandlungen mit China derzeit nicht möglich ist.
Das Gespräch führte Samuel Wyss.