Das Video fängt harmlos an – mit einem gelangweilten Büroangestellten, der eine Packung Kitkat aufreisst und herzhaft hineinbeisst. Doch plötzlich ist überall Blut, denn der vermeintliche Schokoriegel ist ein Orang-Utan-Finger.
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hatte das Video vor sechs Jahren auf Youtube gestellt – ein Frontalangriff gegen Nestlé. Die Botschaft: Nestlé trägt dazu bei, den Lebensraum von Orang-Utans zu zerstören. Dies, weil der Konzern in seinen Schokoriegeln Palmöl verwendet, für deren Anbau Regenwald abgeholzt wird.
Shitstorm gegen Nestlé
Nestlé reagierte wie schon so oft: Der Konzern versuchte, die Kritiker zum Schweigen zu bringen – und forderte Youtube auf, das Video zu löschen. Doch der Schuss ging nach hinten los. Was folgte, war ein riesiger Shitstorm in den sozialen Medien. Nestlé stand erst recht im Kreuzfeuer.
Auch Rudolf Strahm hat Erfahrungen mit Nestlé gemacht. 1974 veröffentlichte der spätere SP-Nationalrat mit seiner studentischen Arbeitsgruppe die Broschüre «Nestlé tötet Babys». «Es ging nicht darum, dass Nestlé schlechte Babynahrung vertrieben hätte, sondern darum, dass der Konzern aggressive Werbung in der dritten Welt macht», sagt er.
Nestlé schiesst Eigentor
Diese Werbung führte dazu, dass Mütter ihre Babys nicht mehr stillten, sondern sie mit Milchpulver fütterten, das oft mit verunreinigtem Wasser angerührt worden war. Viele Babys starben daran.
Auch diesmal versuchte Nestlé, die Kritiker zum Schweigen zu bringen, zog vor Gericht – und bekam zum Teil Recht. «Wir wurden verurteilt wegen Ehrverletzung und mussten je 300 Franken bezahlen. Aber der Richter hat gesagt, Nestlé sei verantwortlich für den Tod tausender von Kindern und Nestlés Verhalten sei unethisch und unmoralisch», sagt Strahm.
Die Kampagne bekam dadurch noch mehr Aufmerksamkeit als vorher. Der Reputationsschaden wirkte lange nach. Inzwischen habe der Konzern dazugelernt, sagt Robert Blood. Der Brite ist Chef von Sigwatch, einem Unternehmen in London, das seit Jahren verfolgt, welche Kampagnen Nichtregierungsorganisationen gegen Multis wie Nestlé fahren und wie sie die Konzerne beurteilen.
Einiges, aber nicht alles gelernt
Nestlé gehe inzwischen nicht nur anders mit Nichtregierungsorganisationen um, sondern nehme auch ihre Themen auf, vor allem im Bereich Umwelt und Nachhaltigkeit, sagt Blood. Als Folge der Palmöl-Kampagne von Greenpeace verpflichtete sich der Konzern die Abholzung von Wäldern zu stoppen.
Und noch in anderer Hinsicht hat Nestlé dazugelernt: Der Konzern hat inzwischen eine eigene Social-Media-Abteilung aufgebaut. Dort werden Mitarbeiter aus der ganzen Welt jeweils für mehrere Monate im Umgang mit Facebook, Google und Twitter geschult, wie ein Sprecher bestätigt. Um Probleme zu erkennen, solange sie noch beherrschbar sind und um direkt mit Kritikern und Konsumenten in Kontakt treten zu können.
Für Nestlé sei das eine neue strategische Dimension, sagt Robert Blood. Der Konzern könne so schon reagieren, bevor das Problem zum Riesenproblem werde – und dadurch Imageschäden abwenden. Auch Rudolf Strahm bescheinigt Nestlé Fortschritte. «Heute sind sie viel kundenorientierter auch viel reputationsorientierter.» Da habe sich Einiges geändert.
Einiges, aber nicht alles gelernt
Einiges, aber nicht alles, wie das Beispiel Indien zeigt. Als die dortige Behörde für Lebensmittelsicherheit im vergangenen Jahr vor unerlaubten Geschmacksverstärkern in Maggi-Nudeln warnte und anordnete, die Instant-Nudeln aus dem Verkehr zu ziehen, legte Nestlé Einspruch ein und versicherte den Konsumenten, dass alles in Ordnung sei. Das ging wieder einmal nach hinten los: Die Nudeln wurden abermals untersucht und dabei wurden erhöhte Bleiwerte gefunden. Nestlé musste sie am Ende ganz aus den Regalen räumen. Der Ruf war erst recht angekratzt, der finanzielle Schaden gross.
Was zeigt: Auch ein Konzern im reifen Alter von 150 Jahren kann noch viel lernen.