Die harten Covid-Massnahmen der Regierung belasten die chinesische Wirtschaft. Darin sind sich die meisten Expertinnen und Ökonomen einig. Auch der ehemalige Berater der chinesischen Zentralbank, Wirtschaftsprofessor Lai Daokui von der Tsinghua-Universität in Peking, sagt: «Wegen der Null-Covid-Strategie können die Leute nicht reisen, Meetings müssen abgesagt und Businesspläne geändert werden. Das sind Grundlagen für die Wirtschaft.»
Die Covid-Krise liegt wie Mehltau über der Wirtschaft.
Der Präsident der Europäischen Handelskammer in China, Jörg Wuttke, betont vor allem die Probleme der Konsumentinnen: Sie könnten kaum einkaufen und fühlten sich verunsichert. Ganze Städte seien zu: «Die Covid-Krise liegt wie Mehltau über der Wirtschaft.»
Immobiliensektor hat sich verändert
Doch nicht nur die Null-Covid-Strategie lastet schwer. Gleichzeitig wankt der Immobiliensektor, eine Säule der chinesischen Wirtschaft. «Die grossen Immobilien-Entwickler versuchen, zu diversifizieren. Sie steckten ihr Geld in Fussballclubs, Filmstudios und Elektromobile. Dieses Geld fehlt nun im Kerngeschäft», erklärt Professor Lai.
Die Regierung brachte viele Immobilienfirmen mit neuen Vorschriften zunächst in finanzielle Verlegenheit. Nun will sie die Lage mit einem 16-Punkte-Plan entschärfen. Dennoch werde der Sektor nie mehr die Bedeutung wie in den vergangenen Jahrzehnten erlangen, sagt Lai. Denn China sei zu einem grossen Teil gebaut: «Vor 20 Jahren besassen viele keine eigene Wohnung. Die Nachfrage war gross. Diese Ära ist vorbei.»
Exportschwäche als Manko
Aber auch geopolitischen Spannungen belasten die Wirtschaft – mit Folgen für die Exporte, so Wuttke: «Elektronik, Sport- und Medizingeräte, Möbel – China produzierte wie die Faust aufs Auge für Europa im Lockdown. Das ist vorüber.»
Hier widerspricht Professor Lai. Die Exporte seien dieses Jahr noch gestiegen. China exportiere Produkte, die nicht so schnell anderswo bezogen werden könnten. Damit seien die Exportgüter weniger von wirtschaftlichen Schwankungen rund um den Globus betroffen.
Im Oktober gingen die Exportzahlen aber tatsächlich zurück. Wohl auch deshalb versucht China, die internationalen Beziehungen wieder zu stärken. Präsident Xi Jinping verbrachte in den letzten Wochen viel Zeit mit Staatsoberhäuptern und Regierungschefs. Am Donnerstag empfing er EU-Ratspräsident Charles Michel.
Konsum bleibt Hauptproblem
Die grösste Herausforderung bleibt jedoch der inländische Konsum, der durch die Null-Covid-Strategie gedämpft wird. Die jüngsten Proteste erhöhen den Druck auf die Zentralregierung zusätzlich.
Wir werden der Welt in wenigen Monaten folgen und mit Covid leben wie mit der Grippe.
Tatsächlich gibt es in diesen Tagen Hinweise auf Lockerungen: In mehreren Grossstädten mit zum Teil gewalttätigen Ausschreitungen wurden Einschränkungen aufgehoben. Hohe Parteifunktionäre tönen ebenfalls Lockerungen an. Wirtschaftsprofessor Lai ist überzeugt: «In wenigen Monaten werden die Massnahmen aufgehoben. Wir werden der Welt folgen und mit Covid leben wie mit der Grippe.»
Ähnlich sieht es Wuttke. Er glaubt, die Regierung habe Mitte Woche eine Kampagne mit der Aussage gestartet, dass man mit Omikron leben und dabei auch sterben könne. Er ist überzeugt, dass die jüngsten Unruhen in 18 Städten ein Umdenken ausgelöst haben. Ob die Zentralregierung aber willens ist, von den strengen Lockdowns abzuweichen, wenn die Infektionszahlen stark ansteigen und wieder Leute an Corona sterben, darf bezweifelt werden.