Kann die Schweiz auch ohne Wachstum prosperieren? Seit Jahrzehnten gibt es die Diskussion darüber, wie viel Wirtschaftswachstum nötig ist, wem das Wachstum zugute kommt und ob unbegrenztes Wachstum überhaupt möglich ist – denn schliesslich gibt es auf der Erde nur eine endliche Menge Ressourcen.
Klar ist: Ohne Wachstum wäre die Schweiz nicht zu ihrem Wohlstand gekommen. Und: Schwellenländer wie China brauchen eine stetige und im Vergleich zu den Industrieländern grössere Zunahme ihrer Volkswirtschaften, um die Entwicklung der Gesellschaft voranzutreiben.
Wachstum vs. Einbussen beim Wohlstand
«Wachstum korreliert mit Wohlstand», sagt Urs Meister von Avenir Suisse. Ein Nullwachstum – also eine Stagnation der Wirtschaftsleistung – führe zu Wohlstandseinbussen, so der Volkswirtschafter. Als Argument führt Meister an, dass bei einer Stagnation der produzierten Menge allein durch den Produktivitätsfortschritt weniger Arbeitskräfte benötigt würden.
Dem hält Urs P. Gasche entgegen, in der Schweiz sei die Limite überschritten, unterhalb der die Vorteile des Wachstums für die meisten Menschen grösser seien als die Nachteile. «Die Leute beginnen das nun zu spüren.» Deshalb hätten sie sich in der jüngeren Vergangenheit auch mehrmals entsprechend an der Urne geäussert.
Anreizsysteme ändern
Zwar will auch Gasche die Produktivität der Wirtschaft verbessern. «Wir wollen unsere Bedürfnisse mit weniger Energie und Rohstoffen befriedigen.» Doch dafür brauche es kein Wirtschaftswachstum. Damit dies funktioniere, müsse das Anreizsystem geändert werden, etwa in den Bereichen Mobilität, Energie oder Raumplanung.
Für Meister ist klar, dass die Politik in der Vergangenheit in vielen Fällen ein «künstliches Wachstum» angetrieben hat. Etwa durch den Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen, die zum Ziel haben, ausländische Firmen anzulocken – mit allen Folgen, die der Mehrheit der Bevölkerung nun offenbar zu viel werden. «Man wird nun reagieren müssen», ist Meister überzeugt.
Es droht die Rache des Stimmvolks
Das sieht Gasche etwas skeptischer: Das erste, was er nun höre, sei der Bundesrat mit dem Gesetz zur Zweitwohnungsinitiative. «Er scheint überhaupt keine Konsequenzen gezogen zu haben, dass das Schweizer Volk genug hat von der Überbauerei.» Die Politik müsse endlich aufhören, nur die kurzfristigen Interessen durchzusetzen. «Denn irgendwann rächt sich das in der direkten Demokratie.»