Russland hat die Ukraine überfallen, und das WEF muss sich neu erfinden. Statt Partys mit Oligarchen, Kaviar und Wodka im legendären «Russland-Haus» gibt es diesmal an gleicher Adresse eine Ausstellung über russische Kriegsverbrechen.
Jahrzehntelang war der berühmteste Wirtschaftsanlass der Welt geprägt vom Glauben, dass Handel Wandel bringt, dass Geschäfte mit Ländern wie Russland oder China der Rechtsstaatlichkeit förderlich sind – dass sich in einer globalisierten Welt Diktaturen unweigerlich in Demokratien verwandeln.
Glaube an Dialog geschwunden
«Dialog, Dialog, Dialog», predigte WEF-Gründer Klaus Schwab, um das offizielle Ziel des WEF zu verwirklichen: den Zustand der Welt zu verbessern.
Dann legte die Corona-Pandemie die Welt (und das WEF) lahm, sie hat ihren Ursprung in China, der mächtigsten aller Diktaturen. Und die Quasi-Diktatur Russland startet einen Krieg gegen die Ukraine, ein Land, das sich anschickte, eine Demokratie nach westlichem Vorbild zu werden.
Der Ukraine-Krieg hat die Welt in West und Ost entzweit, und auch am WEF ist der Glaube an den Dialog geschwunden.
Russische Gäste sucht man vergebens, und China ist bloss mit einer Mini-Delegation vertreten. Die Staatschefs Wladimir Putin und Xi Jinping, denen Schwab auf der grossen WEF-Bühne den Hof gemacht hatte – sie bleiben 2022 zu Hause. Zugeschaltet ist stattdessen der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski, er hält eine Eröffnungsrede.
In den 299 Gesprächsrunden dreht sich freilich vieles um die gleichen Themen wie in den vergangenen Jahren: Weltklima, Weltgesundheit, Welternährung. Zumal die Frage, wie Wohlstand am besten geschaffen und verteilt wird, aktueller ist denn je.
Fehlende Gäste in Davos
Für einen nachhaltigen Neustart nach der Pandemie plädierte Schwab in seinem 2020 erschienenen Buch «Grosser Umbruch» («Great Reset»). Doch angesichts der neuen Ost-West-Konfrontation wirken viele seiner Ratschläge aus der Zeit gefallen.
Unter den knapp 2300 WEF-Gästen finden sich auch dieses Jahr wieder Ministerinnen und Nobelpreisträger, CEOs und Aktivistinnen. Doch das politische Spitzenpersonal macht sich rar.
Zwar geben der deutsche Kanzler Olaf Scholz und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg dem WEF die Ehre, nicht aber die Staats- und Regierungschefs der drei westlichen Atommächte: Joe Biden aus den USA, Emmanuel Macron aus Frankreich und Boris Johnson aus Grossbritannien reisen allesamt nicht nach Davos.
Biden tourt gerade durch Asien, um verbündete Staaten auf das Ringen mit China und Russland einzuschwören. Ans Wirtschaftsforum in der Schweiz schickt er nicht einmal seine Vizepräsidentin oder einen Topminister.
Dass es dem WEF gelingt, sich neu zu erfinden, muss es erst noch unter Beweis stellen.