Es ist alles andere als sicher, dass die EZB die Teuerung in den Griff bekommt mit ihrer epochalen Zinswende. Aber sie versucht es wenigstens. Damit beweist sie Mut. Sie nimmt dabei sogar in Kauf, die Konjunktur abzuwürgen in weiten Teilen Europas.
Der Entscheid hat weitreichende Konsequenzen. Er macht Kredite spürbar teurer. Dies erschwert es Firmen, aber auch den Konsumentinnen und Konsumenten, auf Pump Geld auszugeben. Im besten aller denkbaren Fälle kühlt sich dadurch die Konjunktur dosiert ab, was die Teuerung dämpft. So die Idee.
Schwache Medizin mit starken Nebenwirkungen
Die Sache hat allerdings gleich mehrere Haken:
Russland droht nach wie vor damit, Europa den Gashahn abzudrehen und es bombardiert weiterhin die Ukraine. Die Energie- und Lebensmittelpreise bleiben – allein schon deshalb – hoch. Dagegen ist die EZB machtlos. Ihre Leitzinserhöhungen sind in diesem besonderen Fall eine schwache Medizin gegen die steigenden Preise mit potenziell starken Nebenwirkungen. Das heisst: Es könnte passieren, dass die EZB die Konjunktur ausbremst, indem sie die Zinsen anhebt, ohne das Teuerungsproblem effektiv zu lösen.
Gewiss ist zudem: Die höheren Zinsen schaffen neue Probleme. Nicht nur bremsen sie das Wachstum. Sie verteuern auch die Schuldenlast für hoch verschuldete europäische Staaten wie Italien. Der Grund: Anlegerinnen und Anleger – Pensionskassen zum Beispiel – verlangen höhere Zinsen, wenn sie diesen Wackel-Staaten Geld ausleihen, als wenn sie soliden Ländern wie Deutschland Geld geben. Folglich driften innerhalb der Eurozone die Anleihenszinsen auseinander. Das war in den vergangenen Wochen bereits zu beobachten. Durch die heutige Zinserhöhung der EZB verschärft sich das Phänomen tendenziell. Und im Extremfall kommt es zu einer neuen Staatsschuldenkrise in Euroland, weil das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit hoch verschuldeter Euro-Mitgliedsländer bröckelt.
Anti-Krisen-Instrument soll Abhilfe leisten
Die EZB bereitet sich just auf diesen ungemütlichen Fall vor: Sie hat extra ein Anti-Krisen-Instrument geschaffen, um vorzubeugen: Nötigenfalls will sie ganz gezielt Staatsanleihen von Hochschuldenländern wie Italien kaufen, um so diesen Staaten unter die Arme zu greifen und die Märkte zu beruhigen.
EZB-Chefin Christine Lagarde setzt offenbar grosse Stücke auf dieses Instrument. An der Medienkonferenz in Frankfurt stellte sie heute klar: Wäre die EZB nicht in dessen Besitz, hätte sie die Zinserhöhung um einen halben Prozentpunkt – statt nur um einen viertel Punkt – nicht gewagt.
Nun ist zu hoffen, dass die historische Zinswende nicht eine neue Euro-Krise auslöst, dafür aber – zumindest ein bisschen – gegen die Inflation wirkt. Der Ausgang des Experiments ist offen.