In seinem jährlichen Bericht zu den Folgen der Zuwanderung auf den Schweizer Arbeitsmarkt kommt das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco zum selben Befund wie in den meisten Jahren zuvor. «Die Steuerung über den Arbeitsmarkt führt dazu, dass diejenigen Personen zuwandern, die auf dem Arbeitsmarkt in der Schweiz gebraucht werden», sagt Seco-Direktorin Helene Budliger Artieda.
20. Bericht des Observatoriums zum Freizügigkeitsabkommen Schweiz – EU
«Seien es Ärzte und Pflegefachpersonal, Ingenieure und IT-Spezialisten oder Saisonarbeitskräfte für Bau und Gastgewerbe» – diese ausländischen Arbeitskräfte brauche die Schweizer Wirtschaft, weil die Zahl der Schweizer Erwerbstätigen sinke.
Doch das Tempo und das Ausmass der Zuwanderung geben zu reden, auch bei den Wirtschaftsverbänden. So sagte unlängst der Präsident von Economiesuisse, Christoph Mäder, in einem SRF-Interview: «Generell war das Tempo der Zuwanderung in den letzten Jahren wahrscheinlich zu hoch. Sodass die Leute das Gefühl haben, dass es nicht mehr gelingt, die Zuwanderung gesellschaftlich zu absorbieren.»
Politik ist gefordert
Heute betont Direktor Roland Müller vom Arbeitgeberverband, die aktuellen Probleme der 9-Millionen-Schweiz wie Wohnungsnot, überlastete Verkehrsinfrastruktur und fehlende Kitaplätze müssten von der Schweizer Politik gelöst werden.
Der Bundesrat hat sich bereit erklärt, in Verhandlungen mit der EU nach Lösungen zu suchen.
Eine Begrenzung der Zuwanderung wäre nur eine Notlösung, so Müller: «Economiesuisse hat den Punkt im Personenfreizügigkeitsabkommen erwähnt, der die Steuerung der Zuwanderung anbelangt. Demnach sollen bei Verwerfungen in unserem Land Massnahmen getroffen werden können. Der Bundesrat hat sich bereit erklärt, in Verhandlungen mit der EU nach konkreten Lösungen zu suchen. Wie weit dies möglich sein wird, werden die Verhandlungen zeigen.»
«Keine Alternative zum freien Personenverkehr»
Auch Daniel Lampart vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund sieht zurzeit keine Alternative zum freien Personenverkehr für Arbeitskräfte, ergänzt mit guten flankierenden Massnahmen zum Lohnschutz.
Ein Zuwanderungsstopp oder andere Steuerungsmechanismen führten nicht zum Ziel, im Gegenteil. Die Erfahrung lehre: «In allen Ländern mit Systemen wie Punkte- oder Kontingentsysteme, beispielsweise Kanada, ist die Migration dennoch hoch. Die Jungen sind es gewohnt, ins Ausland zu gehen.»
In Kanada würden Personen mit Uniabschluss bei der Einwanderung bevorzugt. Und das Beispiel Kanada zeige, dass fast die Hälfte der gut qualifizierten Zuwanderer keine Stelle fänden, die ihrem Ausbildungsniveau entsprechen würde – sondern Jobs im Gastgewerbe oder als Taxifahrer.
Potenzial im Familiennachzug
Mehr Potenzial, um die Zuwanderung zu dosieren und gleichzeitig den Arbeitskräftemangel zu beheben, sieht Lampart im Familiennachzug. In diesem Rahmen kämen jährlich 40- bis 50’000 Personen in die Schweiz.
Der Familiennachzug wird völlig unterschätzt.
«Der Familiennachzug wird völlig unterschätzt, auch aus Arbeitsmarktsicht. Es kommen viele Frauen, teilweise ohne Lehre. Sie arbeiten nicht oder in Hilfsjobs. Und diese Frauen wären sehr froh, wenn sie eine Lehre nachholen könnten, beispielsweise in Heimen. Hier ist grosser Handlungsbedarf – und man könnte viel Gutes tun.»
Denn die Unternehmen könnten so auf Arbeitskräfte zugreifen, die bereits in der Schweiz seien und müssten somit weniger Personal im Ausland anwerben.