Klar, Schweizerdeutsch und Englisch stammen beide vom Urgermanischen ab, das vor etwa 2500 Jahren im Ostseeraum gesprochen wurde. Aber es ist trotzdem faszinierend, wie ähnlich sich die beiden Sprachen (neben den Anglizismen im Schweizerdeutschen) teilweise noch sind – nach über 2000 Jahren separater Entwicklung!
Und das Schweizerdeutsche ist dem Englischen oft ähnlicher als das geografisch nähere Hochdeutsche. Ein Beispiel? Bitte sehr!
«Luege, lose, laufe» auf Englisch
Das schöne Fussgängerstreifen-Sprüchli «luege, lose, laufe» hiesse auf Hochdeutsch übersetzt «schauen, hören, gehen». Ganz andere Wörter. Auf Englisch wäre es «look, listen, walk» – zwei von drei Übereinstimmungen mit dem Schweizerdeutschen. «look» und «luege» wie auch «lose» und «listen» haben je dieselbe urgermanische Wurzel («*lōkōn» und «*hlusēną» für die, die es genau wissen wollen; das * steht für eine rekonstruierte, aber nicht schriftlich belegte alte Wortform).
Bedeutungen verschieben sich – Wörter bleiben
Auch «laufe» hat ein englisches Pendant: «to leap», heute mit der leicht veränderten Bedeutung «springen». Ähnlich wie bei «springe(n)», das im Schweizerdeutschen nicht «springen», sondern «rennen» bedeutet – wofür man im Hochdeutschen wiederum «laufen» sagt.
Kompliziert, diese Bedeutungsverschiebungen – ich gebe es zu. Aber die Wörter an sich sind nach über 2000 Jahren Sprachentwicklung erstaunlich ähnlich geblieben.
«to jump» und «gumpe»
Und wenn wir schon beim Springen sind: Englisch «to jump» ist tatsächlich urverwandt mit schweizerdeutsch «gumpe». Das Englische hat das Wort allerdings erst im Mittelalter aus dem Niederdeutschen, den norddeutschen Dialekten, entlehnt – «jumpen» lautet es dort noch immer.
Die oberdeutsche Lautvariante «gumpe(n)» lebt nur noch in den alemannischen Dialekten weiter – aus dem Hochdeutschen wurde es von «springen» verdrängt.
Englische Ausdrücke, eigenartige Pluralformen oder Germanismen: Der schöne Schweizer Dialekt geht bachab. Wie schlimm steht es um unsere Sprache? Nadia Zollinger ist besorgt, doch SRF-Dialektforscher Markus Gasser sieht die ganze Sache lockerer.
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Englisch «some» ist auch in den Alpen bekannt
Noch ein verblüffendes Beispiel: Das englische «some» hat im alpinen Schweizerdeutschen die Entsprechung «sum» – beides bedeutet genau dasselbe. Im Simmental im Berner Oberland sagt man etwa «Sums isch wahr, sums isch gloge». Oder im Walserdialekt von Vals im Bündnerland: «Sum Bäum träge kei Frücht.» – auf Englisch wäre das: «Some trees don’t bear fruit.»
Hochdeutsch tanzt aus der Reihe
In allen deutschen Dialekten, bis auf diejenigen in den Schweizer Alpen, ist dieses Wörtchen «sum» ausgestorben. Im Englischen hingegen – und übrigens auch in den nordgermanischen Sprachen wie Dänisch, Schwedisch oder Isländisch – hat es überlebt. Auch «luege», «lose» und «gumpe» gibt es in den meisten nordgermanischen Sprachen noch.
Es scheint offenbar, dass die Sprachen, welche sich am nördlichen, westlichen und südlichen Rand des germanischen Sprachraums befinden – mehr gemeinsame germanische Wörter aufweisen als diejenigen im Zentrum (Hochdeutsch und Niederländisch).
An den Rändern überleben Wörter länger
Dies führt in der Sprachwissenschaft zu der Annahme, dass alte Wörter an den Rändern des germanischen Sprachraums länger überleben als im Zentrum. Vielleicht, weil sie weniger stark vom Sprachwandel – von der stetigen Veränderung der Sprache – betroffen sind.
Es gibt allerdings auch gegenteilige Beobachtungen: Keine germanische Sprache hat so viele Wörter aus nicht-germanischen Sprachen übernommen wie das Englische (vor allem aus dem Französischen und Lateinischen).
Ganz geklärt ist dieses Phänomen also noch nicht. Faszinierend ist es allemal.
Welche Parallelen zwischen Schweizerdeutsch und anderen germanischen Sprachen kennen Sie? Schreiben Sie es in die Kommentare!