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Sexuelle Gewalt an Kindern «Wer hätte mir denn geglaubt, dass er diese Dinge mit mir macht?»

Muriel, Selina und Chiara haben etwas gemeinsam: Sie wurden als Kinder von Familienangehörigen sexuell missbraucht. Agota Lavoyer, Expertin für sexualisierte Gewalt, erklärt, wie systematisch Täter dabei vorgehen.

Jedes siebte Kind wird hierzulande mindestens einmal im Leben Opfer von sexualisierter Gewalt, schreibt die Stiftung Kinderschutz Schweiz auf ihrer Webseite. Mädchen sind doppelt so oft betroffen wie Knaben.

Anlaufstellen für Opfer sexualisierter Gewalt

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Auf der Webseite der Opferhilfe Schweiz finden Sie Links zu Beratungsstellen im ganzen Land. Die Angebote richten sich nicht nur an Opfer sexualisierter Gewalt, sondern an Betroffene jeglicher Gewaltformen.

Gut zu wissen: die Beratungen sind kostenlos, vertraulich und anonym.

«Diese Statistiken gibt es schon lange, trotzdem hinkt die Präventionsarbeit hinterher», sagt Agota Lavoyer, die sich als Beraterin mit hunderten Fällen sexuellen Missbrauchs beschäftigt hat.

Agota Lavoyer

Expertin für sexualisierte Gewalt

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Agota Lavoyer ist selbstständige Beraterin und Expertin für sexualisierte Gewalt. Als Beraterin, Referentin, Autorin und Kolumnistin engagiert sie sich für eine bessere Unterstützung von Opfern sexualisierter Gewalt und die Prävention von sexualisierter Gewalt.

Missbrauch in der Kindheit hinterlässt bei den Opfern tiefe Spuren. «Das sind lebensbestimmende, traumatisierende Erlebnisse», sagt die Expertin. «Wir lassen die Kinder im Stich, wenn wir uns nicht um das Thema kümmern.»

Gegen Gewalt an Kindern: So können sie spenden

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  • Hier  direkt spenden auf der Website der Glückskette.
  • Anruf in die Spendenzentrale: 0800 87 07 07 (  Donnerstag, 19.12.2024,  von 7 bis 23 Uhr) 
  • Direkt spenden via  glueckskette.ch  
  • Am Postschalter mit dem Vermerk «Gewalt an Kindern»
  • Twint: Öffnen Sie Twint, dann sehen Sie oben «Zusammen gegen Gewalt an Kindern». Dies anwählen und gewünschten Betrag spenden.

Anhand der Beispiele von Muriel, Selina und Chiara (Namen geändert), die allesamt als Kinder von Familienmitgliedern missbraucht wurden, erklärt Agota Lavoyer, wie systematisch Täter bei ihren Übergriffen vorgehen - und wie schwierig die Aufarbeitung ist.

«Das ist fast wie in den ‹Sexheftli›»

Was ist sexualisierte Gewalt?

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Bei der sexualisierten Gewalt unterscheidet man zwischen sogenannten Hands-on- und Hands-off-Taten. Einige Beispiele:

Hands-on: dazu gehören sexuelle Handlungen mit Körperkontakt.

  • Berührungen im Brust- und Genitalbereich
  • orale, anale, vaginale, sexuelle Handlungen und das Einführen von Gegenständen in Anus, Vagina oder Mund
  • Masturbation vor dem Kind
  • Anfertigung oder Zeigen von pornografischem Material

Hands-off: sexuelle Handlungen ohne Körperkontakt.

  • Exhibitionismus aller Art
  • gemeinsames Anschauen von pornografischem Material mit Kindern oder Jugendlichen
  • sexualisierte Fragen/ Gespräche
  • Versenden oder Aufforderung, Nacktbilder zu schicken

Selina wurde als Kind von ihrem Onkel missbraucht, wenn ihr Gotti nicht im Haus war. «Es hatte ‹Sexheftli› auf dem Nachttisch im Schlafzimmer», erzählt sie. «Dann kam mein Onkel ins Zimmer und schaute die Magazine mit mir an.» Ob sie es schön finde, wollte er wissen. Selina, damals in der ersten Klasse, hat sich erst nicht viel dabei gedacht.

Trauriges Mädchen versteckt sich hinter einem Vorhang
Legende: Erschreckende Zahlen: Jedes siebte Kind wird in der Schweiz mindestens einmal im Leben Opfer sexualisierter Gewalt. Keystone/CHRISTOF SCHüRPF

Später fing der Onkel damit an, dem Mädchen sein Geschlechtsteil zu zeigen. Das sei fast, wie in den «Sexheftli», habe er gesagt. «Dann hat er sich befriedigt und mir gesagt, ich solle sein Glied anfassen. So hat es angefangen.»

Dieses Vorgehen sei typisch, sagt Opferberaterin Agota Lavoyer. «Tatpersonen gehen oft strategisch und sehr manipulativ vor und testen erst, wie weit sie gehen können, ohne dass das Kind sie verrät.» Mit der Zeit werden die Übergriffe schwerwiegender.

Das «Geheimnis» für sich behalten

Im Herzen wusste Selina, dass die jahrelangen Handlungen des Onkels nicht richtig waren. Handkehrum hatte sie grosses Vertrauen in ihr Gotti und deren Mann, die ja auf sie aufpassten. «Ich konnte es niemandem erzählen. Ich meine, wer glaubt denn sowas?»

Selina hatte Angst vor der Reaktion ihres Gottis. Zudem wollte sie das «Geheimnis» zwischen ihr und dem Onkel nicht verraten. Das mache man nicht, so ihre damalige Überzeugung als Drittklässlerin. «Betroffene geraten in einen Loyalitätskonflikt», sagt Agota Lavoyer. «Sie fürchten sich davor, abgewiesen zu werden, dass etwas Schlimmes passieren oder die Familie auseinanderbrechen könnte.»

Selina hat ihre Geschichte jahrelang für sich behalten. Die Aufarbeitung der Ereignisse erfolgte erst im Erwachsenenalter.

«Es braucht viel mehr Präventionsarbeit»

Dass ihr Kind unter sexualisierter Gewalt leidet, ist für Eltern oft nicht einfach zu erkennen. Typische Symptome oder Verhaltensweisen gibt es nicht. Wichtig sei, wachsam zu sein. «Wenn sich ein Kind plötzlich verändert, sich anders verhält oder überfordert ist, dann sollte man dem nachgehen», rät Agota Lavoyer.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der man lieber wegschaut.
Autor: Agota Lavoyer Expertin für sexualisierte Gewalt

Mit anderen Worten: Sexualisierte Gewalt sollte stärker thematisiert werden – nicht nur in der Familie. «Es braucht generell mehr Aufklärung, mehr Prävention.»

Moderator Dani Fohrler mit Agota Lavoyer, Expertin für sexualisierte Gewalt, und Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider
Legende: Solidaritätstag auf SRF 1: Im Gespräch mit Dani Fohrler erklärt Agota Lavoyer (Mitte), was hinter sexualisierter Gewalt und Missbrauch steckt. Ebenfalls im Bild: Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider. Die Politikerin hat die Grussbotschaft für Lavoyers Buch «Ermutigt» verfasst, ein Handbuch für Betroffene sexualisierter Gewalt. SRF

Agota Lavoyers aktuelles Buch «Jede_ Frau» befasst sich mit dem gesellschaftlichen Umgang mit sexualisierter Gewalt. «Wir leben in einer Gesellschaft, in der man lieber wegschaut», sagt sie. Das Thema dürfe nicht weiter verharmlost werden.

Anmerkung der Redaktion

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In einer früheren Version des Artikels wurde fälschlicherweise geschrieben, Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider habe das Vorwort zum Buch «Jede_ Frau» von Agota Lavoyer verfasst. Korrekt ist: Baume-Schneider zeichnet sich verantwortlich für die Grussbotschaft in Lavoyers Buch «Ermutigt».

Radio SRF 1, Nachmittag, 19.12.2024, 14:10 Uhr ; 

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