Die Olympischen Spiele sind vorbei. Das Scheinwerferlicht ist aus. Und dann? Nicht wenige Sportlerinnen und Sportler fallen in ein Loch, weiss Sportwissenschaftler Andreas Küttel. Der ehemalige Schweizer Skispringer erforscht an der Universität von Süddänemark das Phänomen des «Post Olympic Blues».
SRF: Wie viele Sportlerinnen und Sportler sind betroffen?
Andreas Küttel: Es betrifft rund ein Drittel der Athletinnen und Athleten. Das wissen wir aus unseren Befragungen der dänischen Delegation nach Tokio 2021. Darunter gab es auch einige, die schwerere depressive Symptome hatten. Von den betreuenden Sportpsychologen weiss ich auch, dass nicht alle in der Stimmung waren, einen Fragebogen auszufüllen. Die Dunkelziffer dürfte also noch etwas höher sein.
Betrifft das Phänomen denn vor allem Teilnehmende, welche eine Medaille knapp verpasst haben?
Nein, es hängt nicht vom sportlichen Erfolg ab. Auch von denen, die ihre Ziele erreicht hatten, gaben 40 Prozent an, sie seien in ein Loch gefallen. Eine Medaille bedeutet nicht automatisch Friede, Freude, Eierkuchen. Auch dann gibt es Herausforderungen und es kann eine Leere kommen.
Aber warum gibt es diese Leere?
Schlussendlich ist es ein Phänomen, welches es nicht nur im Sport gibt. Auch nach einer wichtigen Prüfung oder nach dem Abschluss eines beruflichen Projekts kommt es vor.
Dann ist es plötzlich vorbei. Der Hype, die Adrenalinschübe, die Fernsehkameras.
Aber die Olympischen Spiele sind etwas Spezielles: Vier Jahre lang ordnet man dem Ziel alles unter. Dann ist es plötzlich vorbei. Der Hype, die Adrenalinschübe, die Fernsehkameras. Im Alltag folgt die Leere. Man stellt sich existenzielle Fragen, hätte noch Emotionen zu verarbeiten, hat aber vielleicht auch Schwierigkeiten, sich zu äussern.
Ist der «Post Olympic Blues» ein Tabu?
Das nicht. Das Bewusstsein unter den Athleten ist da. Sportgrössen und Medaillengewinner wie Michael Phelps, Simone Biles oder Sportschützin Nina Christen haben sich zum Thema geäussert. Das hilft.
Es ist akzeptiert, dass es alle treffen kann und man es auf der Agenda haben muss. Aber man müsste es noch mehr normalisieren.
Wird es im Leistungssport auch thematisiert?
Ja. Die Sportpsychologie hat sich da recht gewandelt. Es geht nicht nur darum, die Performance zu steigern. Der Fokus liegt auf dem Menschen. Der ist nicht nur da, um Medaillen zu gewinnen.
Zur Vorbereitung gehört auch eine Planung der Zeit danach.
Themen wie die potenziellen schwermütigen Phasen nach Wettkämpfen werden während der Vorbereitung diskutiert. Dazu gehört auch eine gewisse Planung der Zeit danach. Geht man auf eine Reise? Zurück in auf den Job? Beginnt man ein Studium? Mit Instrumenten der Karriereplanung kann man das Thema mit den Athletinnen und Athleten proaktiv angehen. Ich weiss, dass das auch in der Schweiz gemacht wird.
Welche Erinnerungen haben Sie denn persönlich an die Zeit nach Olympischen Spielen?
Nach den ersten Spielen 2002 gab es überhaupt keinen Blues. Simon Ammann gewann. Ich wurde starker Sechster. Wir hatten eine super Zeit und schwammen noch lange auf Wolke sieben. Eine schwierige Zeit hatte ich nach Vancouver 2010. Ich war enttäuscht ab meiner Leistung und wusste, dass es meine letzten Spiele gewesen waren. Da hatte ich zu kämpfen.
Das Positive im Skisprungzirkus war aber jeweils, dass die Saison nach den Spielen noch intensiv weiterging. Die Leere kam dann erst etwas später im Frühling. Ich hatte glücklicherweise immer einen guten Support von meinem Umfeld und konnte mich auch immer mit unserem Team-Sportpsychologen austauschen.
Das Gespräch führte Fabio Flepp.