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Schwieriger Kantonswechsel für ukrainische Flüchtlinge
Aus Espresso vom 07.09.2022. Bild: Keystone/Marcus Brandt
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Schwieriger Kantonswechsel Trotz Job und Wohnung – Schaffhausen will Flüchtlinge nicht

Ein Paar aus der Ukraine könnte sich im Kanton Schaffhausen eine Existenz aufbauen. Doch die Behörden blocken ab.

Eigentlich wäre diese Geschichte ein Paradebeispiel für gelungene Integration von Flüchtlingen. Ein junges Paar aus der Ukraine – sie 18, er 24 – kommt bei einer dreiköpfigen Familie im Zürcher Weinland unter. Zusammen mit dem 17-jährigen Bruder des Mannes.

Ziel: Auf eigenen Beinen stehen

Für das Paar ist das aber nur eine Lösung auf Zeit, es möchte sich eine Existenz aufbauen. Die Gastfamilie unterstützt die jungen Leute tatkräftig dabei – und die Freude ist gross, als die Ukrainerin einen Job im Gastgewerbe findet und ihr Partner in der Logistikbranche sein Geld verdienen kann. Sein Arbeitsplatz befindet sich im Kanton Schaffhausen. Schliesslich finden sie dort auch noch eine erschwingliche Wohnung. Anfang Juli können sie dort einziehen. Der 17-Jährige bleibt bei der Gastfamilie.

Alles sieht gut aus. Sie habe sich extra auch noch bei der zuständigen Asylkoordination Andelfingen erkundigt, ob ein Kantonswechsel möglich sei, erzählt die Gastgeberin im SRF-Konsumentenmagazin «Espresso». Diese habe ihr mitgeteilt, dass es unter diesen Umständen kein Problem sei. Doch das ist eine falsche Auskunft, wie sich später herausstellt.

Die grosse Ernüchterung

Erst, nachdem das Paar bereits in die neue Wohnung gezogen ist, erfährt es aus der Zürcher Wohngemeinde der Gastfamilie, dass – anders als noch zu Beginn des Krieges in der Ukraine – Flüchtlinge mit Schutzstatus S ihren Wohnkanton nicht mehr frei wählen können. Sie werden nach einem bevölkerungsproportionalen Schlüssel auf die Kantone verteilt, wie alle anderen Flüchtlinge auch. Wer in einen anderen Kanton ziehen will, muss beim Staatssekretariat für Migration (SEM) ein Gesuch stellen.

Das Gesuch wird abgewiesen – ohne konkrete Begründung. Flüchtlinge und Gastfamilie formulieren fristgerecht einen Rekurs. Auch dieser hat keine Chance.

Rund 200 Gesuche abgelehnt

Aus dem Schreiben des SEM geht hervor, dass man mit den Kantonen Gründe vereinbart hat, die einen Kantonswechsel möglich machen. Etwa bei Familienzusammenführungen oder wenn es um vulnerable Personen gehe, erklärt SEM-Sprecher Reto Kormann.

Arbeiten oder Wohnen in einem anderen Kanton: Bei diesen und weiteren Antragsgründen sei die Zustimmung der betroffenen Kantone erforderlich, so Kormann. Von bislang rund 800 vom SEM behandelten Gesuchen von Ukrainerinnen und Ukrainern für Kantonswechsel seien rund 200 abgelehnt worden.

Schaffhauser Migrationsamt hüllt sich in Schweigen

Im vorliegenden Fall habe der Kanton Schaffhausen das Gesuch abgelehnt. Über die Gründe müsse man sich beim Migrationsamt des Kantons erkundigen.

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In Schaffhausen hüllt man sich in Schweigen, weshalb man konkret dieses Flüchtlingspaar ablehnt, das dank Job und erschwinglicher Wohnung finanziell unabhängig ist: Man könne und dürfe zu einzelnen Fällen keine Auskunft geben, teilt das dortige Amt mit.

Frust, Enttäuschung, Unverständnis

Die Betroffenen könnten den Fall noch ans Bundesverwaltungsgericht weiterziehen. Doch davon sehe man wegen des grossen Aufwandes ab, sagt die «Espresso»-Hörerin. Laut den «Schaffhauser Nachrichten» ist auch die Politik aktiv geworden. Doch eine politische Lösung für diesen und ähnliche Fälle zeichnet sich nicht ab.

Was bleibt, sind Frust, Enttäuschung und Unverständnis bei der Gastfamilie und den Flüchtlingen. Diese müssen sich nun über kurz oder lang wohl nach einer neuen Wohnung im Kanton Zürich umsehen.

Asylkoordination entschuldigt sich

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Die Probleme in diesem Fall sind wohl auch durch die zuständige Asylkoordination Andelfingen mitverursacht worden. Diese entschuldigt sich nun. Man müsse davon ausgehen, dass man die Betroffenen nicht darauf hingewiesen habe, dass ein Kantonswechsel nur mit einer vorgängigen Bewilligung seitens des SEM möglich sei, schreibt die Asylkoordination auf Anfrage von «Espresso» und: «Es tut uns leid, dass diese äusserst unbefriedigende Situation entstanden ist.» Man wolle den beiden Ukrainern aber jetzt helfen, eine möglichst gute, neue Lösung zu finden.

Espresso, 07.09.22, 08:13 Uhr

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