Geschätzte 350 Millionen Franken Umsatz in nur neun Monaten: Temu erobert im Rekordtempo die Schweiz. Ein beispielloser Erfolg mit Konsequenzen.
Temu versteht sich als Marktplatz. Das heisst, wer auf Temu bestellt, kauft nicht bei Temu ein. Die Plattform vermittelt die Bestellungen direkt an über hunderttausend Produzenten oder Händler in China. Geht eine Bestellung ein, bündelt und verpackt Temu die Produkte. In kleinen Paketen werden diese per Luftfracht direkt in die Schweiz verschickt.
Die Temu-Logistik unterscheidet sich vom klassischen Handel. Üblicherweise werden Produkte aus China im Container-Schiff in lokale Verteilzentren in Europa transportiert. Von dort kommen die Artikel in die Läden oder per Post zu Endkunden.
Tiefstpreise auf Kosten der Umwelt
Die Flugtransporte von Temu bringen die Ware innert ein bis zwei Wochen in die Schweiz. Aber sie kommen der Umwelt teuer zu stehen. «Der Transport per Flugzeug braucht bei gleicher Strecke etwa fünfzigmal mehr Treibstoff im Vergleich zum Schiff», so René Itten, der an der ZHAW (Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften) zu Ökobilanzen forscht. Er hat schon die Ökobilanz von Smartphones, Kaffee und Fussballfeldern berechnet.
So wurde die Ökobilanz berechnet
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Die CO₂-Äquivalente, die bei Herstellung, Transport und Entsorgung einer Essensbox anfallen, wurden von der ZHAW mithilfe der UVEK (Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation) Datenbank und Mobitool berechnet.
Annahmen:
Transportweg Flugzeug: Direktflug China Schweiz: 10'000 Kilometer, durchschnittliche Auslastung; Transport vom und zum Flughafen per Lkw: 1000 Kilometer
Transportweg Containerschiff: Seeweg Shanghai – Rotterdam via Suezkanal; durchschnittliche Auslastung; Transport vom und zum Hafen per Lkw: 1600 Kilometer
Itten berechnet für «Kassensturz» die Auswirkungen des Flugtransports am konkreten Beispiel einer Lunchbox: Der Transport aus China in die Schweiz per Schiff und Lkw verursacht 0.2 Kilogramm CO₂-Emissionen, der Transport per Flugzeug 5.2 Kilogramm.
Somit macht der Flugtransport 77 Prozent des gesamten Fussabdrucks der Essensbox aus. «Bei diesem Verhältnis ist es nicht sinnvoll, das Produkt per Flugzeug zu transportieren», ordnet René Itten ein.
Das sagt Temu zur Kritik
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Zu den Produkten mit gefährlichen Phthalaten: «Temu legt extrem grossen Wert auf die Produktsicherheit. (…) Daher schätzen wir es sehr, dass Sie uns auf diesen Vorfall aufmerksam gemacht haben. (…) Als Vorsichtsmassnahme und Zeichen unseres Engagements für die Produktsicherheit haben wir jedoch alle genannten Produkte vorübergehend von unserer Plattform entfernt und erwarten die Ergebnisse einer gründlichen Überprüfung und zusätzlicher Tests. Dieses Vorgehen spiegelt unseren generellen Ansatz zur Produktsicherheit wider: Wir gehen lieber auf Nummer sicher. Wir glauben, es ist besser, Produkte bei jedem Verdacht auf Nonkonformität zu entfernen und eine gründliche Überprüfung durchzuführen. (…) Temus Ansatz zur Qualitätskontrolle ist stringent. Wir überprüfen Händler und führen sie ein, um sicherzustellen, dass sie unsere hohen Standards für Produktsicherheit erfüllen und Gesetze einhalten.»
Zu den Produkten, welche die Schweizer Sicherheitsnormen nicht erfüllen: «Zunächst einmal möchten wir Ihnen dafür danken, dass Sie unsere Aufmerksamkeit auf diese Produkte gelenkt haben. Wir schätzen die Überwachung durch alle Bereiche der Gesellschaft, einschliesslich der Medien, und freuen uns über Rückmeldungen, da sie uns helfen, uns zu verbessern und die Erwartungen unserer Kunden besser zu erfüllen. (…) Temu hat die nicht-konformen Produkte von der Plattform entfernt.»
Zur schlechten Ökobilanz: «Ihre Bewertung der Umweltauswirkungen des Lufttransports im Vergleich zum Seetransport lässt die zahlreichen Transport- und Lagerphasen in der Lieferkette des traditionellen Einzelhandels ausser Acht, die alle zu den Gesamtemissionen beitragen. Ausserdem wird ein erheblicher Teil der an Einzelhändler gelieferten Produkte nie verkauft und vernichtet, wodurch Abfälle und zusätzliche Emissionen entstehen. Das Temu-Modell, bei dem die Produkte direkt ab Fabrik geliefert werden, zielt darauf ab, diese Ineffizienzen durch eine straffere und reaktionsfähigere Lieferkette zu beseitigen. Dieser Ansatz dient nicht nur dazu, die Produktion besser auf die tatsächliche Verbrauchernachfrage abzustimmen, sondern auch dazu, die Menge unverkaufter und zurückgegebener Waren drastisch zu reduzieren. Bei Temu werden die Produkte nicht vor, sondern erst nach dem Verkauf ausgeliefert.»
Tiefstpreise auf Kosten der Sicherheit
Im gemeinsamen Test mit dem Westschweizer Fernsehen liess «Kassensturz» sechs Produkte von Temu auf ihre Sicherheit testen. Mit verheerenden Resultaten.
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Video
Stéphane Fontanet, Testleiter: «Das entspricht nicht den Schweizer Sicherheitsnormen»
Aus Kassensturz vom 25.04.2024.
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Bei einer Schutzbrille zersplitterte im Test das Brillenglas in kleine Stücke, die das Auge verletzen könnten. Bei einer Kinder-Schwimmweste liess sich beispielsweise die Schnalle zu leicht lösen.
Die gefährliche Bilanz: Fünf der sechs Produkte wären auf dem Schweizer Markt nicht zugelassen.
So wurde die Produktsicherheit getestet
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Plastik-Produkte: Die Plastikprodukte wurden zerkleinert und mit künstlichem Speichel oder einer Standard-Simulationsflüssigkeit gemischt und für 30 Minuten bei 37 Grad oder 24 Stunden bei Raumtemperatur inkubiert. In diesen Flüssigkeiten wurde mittels Massenspektrometrie die Freisetzung von Weichmachern gemessen: Für 4 Produkte wurden auf 16 verschiedene Bisphenole untersucht, 6 Produkte auf 16 Phthalate.
Velohelm / Schwimmhilfen / Schutzbrille: Ein spezialisiertes Labor testete die Sicherheitsprodukte auf die Konformität mit den anwendbaren EN-Sicherheitsnormen.
Tiefstpreise auf Kosten der Gesundheit
Zehn Plastikprodukte von Temu liess «Kassensturz» auf Weichmacher testen. Die Stichprobe zeigt: Fünf der Produkte enthalten gefährliche Weichmacher.
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Video
Davide Staedler, Toxikologe: «Giftige Phthalate wurden in Kinderprodukten gefunden»
Aus Kassensturz vom 25.04.2024.
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Ein Trinkbecher für Kleinkinder enthielt sogar einen verbotenen Stoff. «Ein Becher hat Kontakt mit Lebensmitteln, da sind die Regulierungen besonders strikt. Darum dürfte man diesen Becher, aus dem ein gefährliches Phthalat austritt, in der Schweiz nicht verkaufen», so Toxikologe Davide Staedler vom Labor Tibio. Für Temu als ausländischer Online-Marktplatz gilt diese Regulierung aber nicht. Der Toxikologe warnt, die Produkte gehörten aber auf keinen Fall in Kinderhände.
Resultategrafiken
«Kassensturz» konfrontierte Temu mit den schlechten Resultaten. Daraufhin hat Temu die Produkte sofort von der Plattform entfernt. Es scheint, dass Temu viel Macht über die mehr als hunderttausend Händler auf der Plattform hat, diese aber nur lückenhaft kontrolliert.
Das rasante Wachstum von Temu mit Billigprodukten hat seinen Preis: eine problematische Ökobilanz, Mängel bei der Sicherheit und Gefahren für die Gesundheit.
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