Handyhüllen, Sonnenbrillen oder Haarföns: Das und vieles mehr bietet der chinesische Online-Shop Temu an – zu Tiefstpreisen. Der Versand aus Fernost ist zudem gratis. Das ist dem Schweizer Detail- und Online-Handel ein Dorn im Auge.
«Die Schweizer Online-Händler kommen unter Druck», sagt Dagmar Jenni, Direktorin vom Verband Swiss Retail Federation. Ihr Umsatz sei im ersten Quartal 2024 um drei Prozent zurückgegangen im Vergleich zum Vorjahr. Das zeige eine Auswertung der Debit- und Kreditkartentransaktionen. «Das bereitet uns Sorgen.»
Tiefere Standards bei Produktsicherheit
Der Verband beklagt, dass die chinesischen Anbieter nicht dieselben Regeln erfüllen müssten wie Schweizer Händler, weil sie nicht unter die hiesigen Gesetze fallen würden. So müssten sie nicht die gleichen Standards bei der Produktsicherheit gewährleisten. Ausserdem würde der Wert von Sendungen aus China tiefer als tatsächlich deklariert, um die Mehrwertsteuer zu umgehen. «Das finden wir ungerecht», sagt Jenni.
Ohne teure Produktzertifizierung und mit minderwertigen Materialien können die Online-Shops in China Kosten sparen. Ein weiterer Grund für ihr günstiges Sortiment sei das Geschäftsmodell, sagt Handelsexperte David Morant vom Beratungsunternehmen Carpathia: «Das sind Marktplätze, auf denen die Hersteller direkt mit der Kundschaft verbunden sind. Der ganze Zwischenhandel mit Importeuren oder Grosshändlern fällt weg.»
Plattformen ködern Kundschaft
Neben tiefen Preisen locken die Plattformen die Kundschaft auch mit «Gamification» an, also mit dem Einbau von spielerischen Elementen, wie Morant erklärt. So könnten sich Kundinnen und Kunden in der App von Temu Rabatte erspielen.
Temu betreibt aber auch ausserhalb seiner Seite intensives Marketing. Auf Google hat sich der Marktplatz bei vielen Suchbegriffen Sichtbarkeit für seine Produkte gekauft. Die Grossbank JPMorgan Chase schätzt, dass Temu allein in diesem Jahr drei Milliarden Dollar für Werbung ausgeben wird.
In Europa ist Temu erst seit Frühling 2023 aktiv. Das Beratungsunternehmen Carpathia schätzt, dass der chinesische Händler im vergangenen Jahr 350 Mio. Franken in der Schweiz umgesetzt hat. Damit hat Temu in kurzer Zeit zum langjährig bestehenden Marktplatz Aliexpress aufgeschlossen.
Die Bedeutung von chinesischen Online-Shops werde auch weiter zunehmen, sagt Markus Herrmann von der China Macro Group. Sein Unternehmen analysiert die chinesische Politik und Wirtschaft. «Für die E-Commerce-Firmen in China fängt eine neue Phase an. Der inländische Markt ist hart umkämpft», sagt er. So würden etwa die Wachstumsraten und Profitmargen der Marktplätze in China abnehmen.
Aus diesen Gründen würden die Unternehmen ein Augenmerk aufs Ausland richten, sagt Herrmann. So würden sie auch anhand grosser Datenanalysen versuchen, etwa die Schweizer Kundschaft besser zu verstehen.
Dagmar Jenni von der Swiss Retail Federation verlangt gleich lange Spiesse für Schweizer und chinesische Händler. «Es geht nicht an, dass die Schweizer Händler sicherstellen müssen, dass die Produkte sicher und nicht gesundheitsgefährdend sind, aber die Billiganbieter nicht.»
Inzwischen beschäftigt sich auch die Politik mit den chinesischen Online-Shops. Im Nationalrat sind zwei Vorstösse dazu offen. Jenni hofft, dass daraus bald Massnahmen folgen.