Die 60-jährige Edith Siegenthaler hat nicht den Anspruch, vollumfänglich entlohnt zu werden, aber eine Entlastung würde sie sich wünschen. Die Bäuerin wohnt mit ihrem Mann Christian im Emmental. Als die Krankheit Demenz bei ihm mit 65 diagnostiziert wird, führen sie gemeinsam einen Milchwirtschaftsbetrieb, den sie bald aufgeben müssen. Seither pflegt und betreut ihn seine Frau rund um die Uhr.
Knapp 60 Prozent aller demenzerkrankten Menschen in der Schweiz leben zu Hause und werden von ihren Angehörigen betreut und gepflegt. Gratis und franko. «Alzheimer Schweiz» hat ausgerechnet, dass deren unentgeltliche Arbeit jährlich 5.5 Milliarden Franken kosten würde. Damit wird das Gesamtbudget der Gesundheitskosten entlastet – zulasten der Angehörigen.
Entlastung der Angehörigen
24 Stunden und 7 Tage in der Woche einen Demenzkranken zu betreuen, das schaffe man auf Dauer nicht, sagt die Fachfrau Rebeca Benitez, die in St. Gallen eine Tagesstätte für Demenzerkrankte leitet. Eine logische Konsequenz, wenn Angehörigen die Kraft fehlt: das kostspieligere Pflegeheim. Zum Vergleich: vier Tage Tagesstätte im Monat kosten etwa gleich viel wie ein Tag im Pflegeheim.
Entlastung für die Angehörigen bieten sogenannte Tagesstätten für Demenzerkrankte. Dort werden sie tagsüber professionell betreut und die Angehörigen damit entlastet. Ihren Mann einen Tag in der Woche in einer solchen Tagesstätte betreuen zu lassen, würde Edith Siegenthaler 85 Franken kosten. Für vier Tage im Monat macht das 340 Franken. Doch dafür reicht das Geld nicht. Die beiden leben von 3000 Franken im Monat.
Kein Geld von Krankenkasse und Staat
Demenz ist eine Krankheit, die nicht wegoperiert und auch nicht mit Medikamenten geheilt werden kann. Was Demenzkranke am meisten brauchen, ist Zeit und Geduld. Im Fachjargon nennt man das Betreuung und diese wird weder von den Krankenkassen noch vom Staat mitfinanziert.
Das gültige Krankenversicherungsgesetz KVG regelt, dass bei einer Demenz sogenannte Pflegeleistungen der Spitex, Arztbesuche, Medikamente oder Spital- und Heimaufenthalte finanziert werden. Nicht aber die für Demenzkranke wichtige und zeitintensive Betreuung.
Mehr Geld für die Betreuung
Die St. Galler SP-Nationalrätin Barbara Gysi verlangt in einem Postulat einen Wechsel der bisherigen Regelung. Sie möchte eine bessere Finanzierung der Betreuung. Im Nationalrat wurde das Postulat Gysi angenommen, doch der Weg zu einer Änderung der heutigen Struktur dürfte noch Jahre dauern. Gysi rechnet nicht damit, dass dies noch in dieser Legislatur gelingen kann.
Tatsächlich hat in der vorberatenden Kommission eine Minderheit von SVP und FDP das Postulat abgelehnt: «Das ist genau die Krux, im Einzelfall denkt man, das kann nicht sein, das muss entschädigt werden, und legen unserem Gesundheitssystem wieder Kosten auf, ohne einzusparen», begründet SVP-Nationalrat Andreas Glarner (AG) den Widerstand.