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Klimafreundlich reisen mit Hindernissen
Aus Kassensturz vom 11.06.2024.
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Nachtzug-Frust Schlaflos im Nachtzug – Frustrierte Kundschaft auf Schienen

Sitzen statt liegen, fehlende Abteile, gestoppte Züge. Bei «Kassensturz» häufen sich Beschwerden von Nachtzug-Reisenden.

So hatte sich Sabine Hall die Rückreise von Berlin nach Zürich nicht vorgestellt. Für die Hin- und Rückfahrt im Liegewagen von Zürich aus bezahlte sie 540 Franken für vier Plätze. Doch als sie in Berlin abends auf den Nightjet zurück nach Zürich geht, gibt es ihr gebuchtes Liegewagen-Abteil schlicht nicht. Sie werden in einem Sechser-Sitzabteil platziert. Und verbringen die Nacht ungemütlich im Sitzen – zwölf Stunden lang.

Zwölf Stunden im Sitz- statt im Liegewagen

«Wir waren nicht die einzigen. Insgesamt waren drei Abteile, also zwölf Personen betroffen. Für alle gab es einen Downgrade von Liegewagen auf Sitzplätze.» 

Solche Meldungen häufen sich bei «Kassensturz/Espresso». So machte auch Jonas N. schlechte Erfahrungen mit dem Nachtzug. «Auf den letzten zehn Fahrten, die ich gemacht habe, habe ich zweimal erlebt, dass der Zug auf der Hälfte der Strecke oder noch früher gestoppt wurde.»

Das gilt bei Rückerstattungen

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Fällt die gebuchte Abteil-Kategorie auf einem Nightjet (NJ) aus und Kundinnen und Kunden erhalten ein Downgrade, bestehen gemäss SBB folgende Möglichkeiten:

  • Kostenlose Stornierung vor der Abreise
  • 50 Prozent Erstattung der Ticketpreise bei Downgrade um eine Kategorie (Schlafwagen zu Liegewagen oder Liegewagen zu Sitzplatzwagen) und bis zu 100 Prozent Erstattung bei Downgrade um zwei Kategorien (Schlafwagen auf Sitzplatzwagen)
  • Bei komplettem Ausfall Erstattung zu 100 Prozent
  • Rückerstattungen grundsätzlich bei der Bahngesellschaft anfordern, wo das Ticket gekauft wurde. Bei den SBB am besten online (runterscrollen bis «Was mache ich, wenn der gebuchte Nachtzug ausfällt und ich in eine tiefere Komfort-Klasse umgebucht werde?»)

Beim letzten Mal in Frankfurt. Er musste deshalb auf einen Eurocity umsteigen. Weil er aber sein Nightjet-Ticket online nicht anpassen konnte, stieg er beim nächsten Halt in Karlsruhe wieder aus, – und wurde auf dem Perron von der Polizei angehalten. Resultat: eine Anzeige und eine Fahrpreisnacherhebung von 157 Euro. Die ÖBB bot ihm nachträglich eine Entschädigung an. Die DB zog die Anzeige aber erst nach Anfrage von «Kassensturz» zurück.

 SBB können ausgefallene Schlafwagen nicht ersetzen

Noam Schaulin von der Interessenorganisation Pro Bahn Schweiz kritisiert, dass einige Linien von und nach Zürich besonders stark betroffen seien. «Dass wir immer noch fast wöchentlich Meldungen von ausfallenden Schlafwagen bekommen, von Leuten, die ein Downgrade auf Sitzwagen erhalten, das kann einfach nicht sein.»

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Noam Schaulin, Zentralvorstand Pro Bahn, kritisiert den abnehmenden Service in den Nachtzügen.
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Robér Bormann, Projektleiter Nachtzüge bei den SBB, bedauert die Probleme, besonders bei den Schlafwagen: «Es gibt keine anderen Fahrzeuge dieser Bauart im Betrieb. Das heisst, wenn ein Wagen ausfällt, haben wir ein massives Problem.»

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Robér Bormann, Projektleiter Nachtzüge SBB: «Wir sind darauf angewiesen, dass uns die Partnerbahnen die Züge vollständig bringen»
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Weil die SBB die Nachtzüge nicht selbst betreiben, sondern Partner wie etwa die ÖBB, seien ihnen oft die Hände gebunden: «Weil wir kein eigenes Rollmaterial besitzen, haben wir nicht die Möglichkeit, eigene Fahrzeuge reinzustellen, um fehlende Wagen zu ersetzen.»

Amsterdam-Zürich: An 100 von 150 Tagen Probleme

Timo Grossenbacher ist Data-Journalist und betreibt die Vergleichsplattform night-ride.ch. Er hat seit Anfang Jahr sämtliche App-Meldungen der SBB an die Kundschaft für «Kassensturz» ausgewertet.

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Timo Grossenbacher, Betreiber von night-ride.ch: «Aus Kundensicht ist das inakzeptabel»
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Die tägliche Nightjet-Linie Amsterdam-Zürich ist demnach die problematischste: 91 Schlafwagen sind in dieser Zeit ausgefallen oder erfuhren ein Downgrade. An 100 von 150 Tagen hat Grossenbacher auf der Strecke Probleme registriert.

Balkendiagramm mit Ausfällen / Downgrades nach Linie
Legende: Auf der Strecke Amsterdam – Zürich gab es die meisten Ausfälle SRF

Stellungnahme der SBB

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«Die SBB betonen, dass die Häufigkeit von Störungsmeldungen nichts über die Anzahl betroffener Passagiere aussagt. So sind beispielsweise gewisse Ausfälle geplant, um im Fall eines tatsächlichen Ausfalls eines anderen Wagens eine Reserve zu haben. Bei den geplanten Ausfällen wurden die Reisenden entweder in andere Schlafwagen oder in Liegewagen umgebucht, dementsprechend waren weniger Passagiere direkt betroffen.»

«Wenn an zwei Dritteln der Tage ein Schlafwagen ausfällt oder durch einen Liegewagen ersetzt wird, oder ein Liegewagen ausfällt, dann ist das eigentlich aus Kundensicht absolut inakzeptabel, und dann frage ich mich als Kunde, wieso dafür überhaupt noch Tickets verkauft werden.»

Genaue Zahlen geben die SBB gegenüber «Kassensturz» nicht bekannt. Sie halten fest:

«Die Häufigkeit von Störungsmeldungen sagt nichts über die Anzahl betroffener Passagiere aus.» Laut Robér Bormann von den SBB sei das Problem aber erkannt und das Buchungssystem Ende letzten Jahres geändert worden. Doch seien noch Tickets im Umlauf, wo Probleme auftauchen könnten.

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Kurt Bauer, Leiter Fernverkehr der ÖBB im Interview
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Stellungnahme ÖBB

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Die Österreichischen Bundesbahnen ÖBB betreiben Nightjet-Linien für die SBB. Der Leiter Fernverkehr nimmt gegenüber «Kassensturz» zu den Problemen Stellung. Bei betroffenen Passagieren würden sich die ÖBB für die Umstände entschuldigen. Es komme dann zu Ausfällen, wenn Nachtzugwagen wegen einer Reparatur ausfallen würden. Wer bei der Buchung einen Kontakt hinterlege, werde bei Problemen benachrichtigt. Allerdings sei dies nur bis eine Stunde vor Abfahrt möglich.

Dass der Standort Zürich besonders betroffen sei, verneint Bauer. Die Probleme mit Ausfällen oder Downgrades würden das gesamte Nachtzugnetz betreffen. Man habe im Moment eine erhöhte Anzahl von Ausfällen und Downgrades, so Bauer: «Das liegt einfach daran, dass wir im Moment alles, was irgendwie Räder hat, in den Dienst setzen, weil die Nachfrage ja sehr hoch ist. Und wir ziehen massiv am Investitionsprogramm, um kurzfristig Besserung zu erreichen.»

 Stellungnahme der ÖBB zum Fall von Jonas N.:

«Als Gründe für die Probleme kann man leider nur sehr generisch den schlechten Zustand der Infrastruktur in Deutschland und die daher notwendigen zahlreichen Reparatur- und Sanierungsmassnahmen bezeichnen. Zusätzlich sind die Eisenbahnlinien am Rhein vor allem in der Nacht sehr stark mit Güterzügen ausgelastet daher führen schon kleinere Störungen zu spürbaren Verspätungen im Betrieb.»

Stellungnahme der ÖBB zum Fall von Sabine Hall:

«Normalerweise werden Reisende über Wagenausfälle und Downgrades durch den ÖBB-Kundenservice informiert. Bei einer geänderten Wagenstellung in der gleichen Komfortkategorie mit reduzierter Kapazität (Singledeck statt Doppeldeck-Schlafwagen) ist die Vorabinfo an Kundinnen und Kunden derzeit aber noch schwierig, da der Kundenservice nicht sagen kann, wer betroffen sein wird und wer nicht. Wir arbeiten aber daran, die geänderte Wagenstellung im Reservierungssystem abzubilden und aufbauend auf dem automatisch umzubuchen. Diese können dann gezielt angeschrieben werden.»

Espresso, 10.06.2024, 08:10 Uhr

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