- Der Pestizid-Wirkstoff S-Metolachlor ist letzten Dezember in der EU verboten worden, weil er als «vermutlich krebserregend» eingestuft wurde.
- Die Abbaustoffe von S-Metolachlor im Trinkwasser gelten jetzt als «relevant», das heisst, es gilt ein hundertfach strengerer Grenzwert.
- In der Schweiz sind von der Trinkwasserverschmutzung bis zu 100'000 Haushalte im Mittelland betroffen.
Kantonschemiker Kurt Seiler ist besorgt, weil er bis heute keine Information vom Bund zur Regelung von S-Metolachlor im Trinkwasser erhalten hat: «Es wäre wichtig, diese Angaben zeitnah zu haben.» Schliesslich sei es die Aufgabe der Kantonschemiker, das Trinkwasser sauber zu halten.
Sobald das Verbot auch in der Schweiz gilt, muss das Trinkwasser von bis zu 100'000 Haushalten verdünnt werden, sodass der neue Grenzwert von 0.1 Mikrogramm pro Liter eingehalten werden kann.
Bund reagiert mit sechsmonatiger Verspätung
Zuständig ist das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV). Zwar kommt es den Entscheiden der EU nach, aber mit Verzögerung: Die Pflanzenschutzmittelverordnung werde zweimal im Jahr angepasst, schreibt das Amt. Konkret heisst das: Am 1. Juli wird der Bund den Pestizidherstellern eröffnen, dass der Wirkstoff und alle Produkte mit S-Metolachlor verboten werden.
Erheben diese innert 30 Tagen keine Beschwerde, wird den Kantonen im August mitgeteilt, dass S-Metolachlor im Trinkwasser neu nur noch zu 0.1 Mikrogramm pro Liter statt wie bisher zu 10 Mikrogramm vorkommen darf.
Millionenkosten für Aufbereitung des Trinkwassers
Wasserversorger schätzen, dass die Aufbereitung des Trinkwassers mehrere Hundert Millionen kosten wird, zum Beispiel durch Anlagen mit Aktivkohle. Sie denken vor allem an den Fall des Pestizid-Wirkstoffs Chlorothalonil. Obwohl vor vier Jahren alle Spritzmittel mit Chlorothalonil verboten wurden, hat sich die Qualität des Trinkwassers seither nicht wesentlich verbessert.
Rund eine Million Haushalte trinken auch heute noch belastetes Trinkwasser. Kommt dazu: Der Fall Chlorothalonil ist umstritten, weil der Agrochemie-Konzern Syngenta gegen das Verbot klagte und das Bundesverwaltungsgericht auch nach vier Jahren noch kein Urteil gefällt hat.
«Gebührenzahlende büssen für Fehler der Zulassungsstelle»
Die Aufbereitung des Trinkwassers bezahlen die Haushalte mit höheren Gebühren. Roman Wiget, Wasserversorger im Berner Seeland, ist daran, eine Aktivkohle-Anlage für zwei Millionen zu installieren. Wiget zu «Kassensturz»: «Wir prüfen eine Haftungsklage gegen das Bundesamt für Landwirtschaft.»
Die frühere Zulassungsstelle für Pestizide habe Chlorothalonil zu wenig streng reguliert. Der Bund weist den Vorwurf zurück: Pflanzenschutzmittel seien aufgrund der damaligen Rechtslage und der damaligen wissenschaftlichen Kenntnisse beurteilt worden.
Kritik am Vorsorgeprinzip
Für Kantonschemiker Kurt Seiler ist der Fall klar: «Das Vorsorgeprinzip hat versagt!» Wirkstoffe wie Chlorothalonil, die in der Umwelt kaum abgebaut werden, hätten nie zugelassen werden dürfen. Heute erweist sich Kurt Seiler als früher Rufer in der Wüste: Schon 2011 hatten er und der Verband der Kantonschemiker den Bund aufgefordert, nicht mehr zwischen relevanten und nicht relevanten Pestizidrückständen zu unterscheiden.
Seiler: «Alle Stoffe sind relevant». Kein Pestizidrückstand sollte zu mehr als 0.1 Mikrogramm pro Liter im Trinkwasser vorkommen. Die damalige Antwort des Bundes? «Er hat unseren Vorschlag abgelehnt».