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Pestizid-Gefahr Neue Verschmutzung im Trinkwasser: Die Schweiz reagiert verzögert

  • Der Pestizid-Wirkstoff S-Metolachlor ist letzten Dezember in der EU verboten worden, weil er als «vermutlich krebserregend» eingestuft wurde.
  • Die Abbaustoffe von S-Metolachlor im Trinkwasser gelten jetzt als «relevant», das heisst, es gilt ein hundertfach strengerer Grenzwert.
  • In der Schweiz sind von der Trinkwasserverschmutzung bis zu 100'000 Haushalte im Mittelland betroffen.
  • Kantonschemiker Kurt Seiler ist besorgt, weil er bis heute keine Information vom Bund zur Regelung von S-Metolachlor im Trinkwasser erhalten hat: «Es wäre wichtig, diese Angaben zeitnah zu haben.» Schliesslich sei es die Aufgabe der Kantonschemiker, das Trinkwasser sauber zu halten.

Sobald das Verbot auch in der Schweiz gilt, muss das Trinkwasser von bis zu 100'000 Haushalten verdünnt werden, sodass der neue Grenzwert von 0.1 Mikrogramm pro Liter eingehalten werden kann.

S-Metolachlor

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Der Pestizid-Wirkstoff S-Metolachlor ist ein Unkrautvertilger und wird vor allem im Anbau von Mais gebraucht. Zugelassen wurde S-Metolachlor 1998. Laut Bund wurden von 2008 bis 2022 370 Tonnen verkauft. Welche Menge von 1998 bis 2007 verkauft wurde, kann das Bundesamt für Landwirtschaft nicht sagen; offenbar wurden damals keine Daten erhoben.

Schon bei der Erstzulassung in der EU 2005 hiess es, dass S-Metolachlor das Grundwasser verschmutzen könnte. In der Schweiz ist Bauern mit Direktzahlungen seit 2023 der Einsatz von S-Metolachlor wegen der Gefahr für Oberflächen- und Grundwasser verboten. Die Kantone erteilen aber Sonderbewilligungen für den Einsatz von S-Metolachlor bei der Bekämpfung des Unkrauts Erdmandelgras im Anbau von Mais.

Bund reagiert mit sechsmonatiger Verspätung  

Zuständig ist das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV). Zwar kommt es den Entscheiden der EU nach, aber mit Verzögerung: Die Pflanzenschutzmittelverordnung werde zweimal im Jahr angepasst, schreibt das Amt. Konkret heisst das: Am 1. Juli wird der Bund den Pestizidherstellern eröffnen, dass der Wirkstoff und alle Produkte mit S-Metolachlor verboten werden.

Erheben diese innert 30 Tagen keine Beschwerde, wird den Kantonen im August mitgeteilt, dass S-Metolachlor im Trinkwasser neu nur noch zu 0.1 Mikrogramm pro Liter statt wie bisher zu 10 Mikrogramm vorkommen darf.

Millionenkosten für Aufbereitung des Trinkwassers  

Wasserversorger schätzen, dass die Aufbereitung des Trinkwassers mehrere Hundert Millionen kosten wird, zum Beispiel durch Anlagen mit Aktivkohle. Sie denken vor allem an den Fall des Pestizid-Wirkstoffs Chlorothalonil. Obwohl vor vier Jahren alle Spritzmittel mit Chlorothalonil verboten wurden, hat sich die Qualität des Trinkwassers seither nicht wesentlich verbessert.

Das Verbot von S-Metolachlor verzögerte sich schon in der EU

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Eigentlich hätte die EU die Risiken des Unkrautvertilgers S-Metolachlor schon 2015 neu überprüft haben sollen. Damals lief die Genehmigung des Wirkstoffs ab. Stattdessen hat die EU-Kommission sechsmal eine Verlängerung bewilligt. S-Metolachlor wurde erst Ende 2023 fertig bewertet und verboten – mit fast neunjähriger Verspätung.

Wie kam es dazu? Pestizidherstellerin Syngenta habe umfangreiche Dossiers eingereicht, sagt Konstantin Kuppe vom deutschen Umweltbundesamt, das S-Metolachlor für die EU überprüft hat. «Zum Beispiel ein Monitoring fürs Grundwasser mit 5000 Seiten». Obwohl sein Amt gut dotiert sei, habe man zwei Jahre gebraucht, um diese Daten zu prüfen, sagt Kuppe.

«In anderen EU-Ländern würde das noch viel länger dauern.» Dazu seien weitere aufwendige Studien gekommen. Dass die Risikobewertung von S-Metolachlor sich um fast 9 Jahre verzögert, sei zwar aussergewöhnlich, aber dennoch kein Einzelfall, sagt Kuppe. Oftmals verzögere sich die neue Risikobewertung von abgelaufenen Pestizid-Wirkstoffen durch die EU um mehrere Jahre.

Rund eine Million Haushalte trinken auch heute noch belastetes Trinkwasser. Kommt dazu: Der Fall Chlorothalonil ist umstritten, weil der Agrochemie-Konzern Syngenta gegen das Verbot klagte und das Bundesverwaltungsgericht auch nach vier Jahren noch kein Urteil gefällt hat.  

«Gebührenzahlende büssen für Fehler der Zulassungsstelle»  

Die Aufbereitung des Trinkwassers bezahlen die Haushalte mit höheren Gebühren. Roman Wiget, Wasserversorger im Berner Seeland, ist daran, eine Aktivkohle-Anlage für zwei Millionen zu installieren. Wiget zu «Kassensturz»: «Wir prüfen eine Haftungsklage gegen das Bundesamt für Landwirtschaft.»

Die frühere Zulassungsstelle für Pestizide habe Chlorothalonil zu wenig streng reguliert. Der Bund weist den Vorwurf zurück: Pflanzenschutzmittel seien aufgrund der damaligen Rechtslage und der damaligen wissenschaftlichen Kenntnisse beurteilt worden.  

Kritik am Vorsorgeprinzip

Für Kantonschemiker Kurt Seiler ist der Fall klar: «Das Vorsorgeprinzip hat versagt!» Wirkstoffe wie Chlorothalonil, die in der Umwelt kaum abgebaut werden, hätten nie zugelassen werden dürfen. Heute erweist sich Kurt Seiler als früher Rufer in der Wüste: Schon 2011 hatten er und der Verband der Kantonschemiker den Bund aufgefordert, nicht mehr zwischen relevanten und nicht relevanten Pestizidrückständen zu unterscheiden.

Seiler: «Alle Stoffe sind relevant». Kein Pestizidrückstand sollte zu mehr als 0.1 Mikrogramm pro Liter im Trinkwasser vorkommen. Die damalige Antwort des Bundes? «Er hat unseren Vorschlag abgelehnt».  

Wie gefährlich ist S-Metolachlor im Trinkwasser?

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Herstellerin Syngenta, die übrigens keine Beschwerde gegen das Verbot einlegen will, schreibt Kassensturz: Man habe eine Risikobewertung auf der Grundlage einer konservativen Schätzung der Konzentration von relevanten Abbaustoffen im Trinkwasser durchgeführt: «Von dieser Exposition geht kein Risiko für die menschliche Gesundheit aus». Kantonschemiker Kurt Seiler bestätigt, dass keine akute Gesundheitsgefahr bestehe.

Er gibt aber zu bedenken, dass man die langfristige Wirkung nicht kenne. Ausserdem seien nicht nur Rückstände von S-Metolachlor im Trinkwasser, sondern auch solche von anderen unterdessen verbotenen Pestizid-Wirkstoffen wie Chlorothalonil oder Chloridazon. Die langfristige Wirkung dieses Cocktails auf die menschliche Gesundheit kenne niemand. Chemiker und Anwalt Hans Maurer spricht von einem «Kardinalsfehler» bei der Zulassung von Pestiziden: Es werde nur der einzelne Stoff geprüft. «Tatsächlich aber sind Menschen und Tiere immer einem Cocktail an Pestiziden ausgesetzt»

SRF 4 News, 18.06.24, 16:00 Uhr;kobt

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