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Eine Hebamme kann mit ihrer Freizeit nicht viel anfangen
Aus Espresso vom 07.11.2024. Bild: Colourbox
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 22 Sekunden.

Überstunden Überstunden abbauen während dem Pikettdienst – geht das?

Kann ein Arbeitgeber verlangen, dass Angestellte ihre Überstunden während dem Pikettdienst abbauen?

Im Team der Geburtshilfe eines Schweizer Spitals haben sich Überstunden angesammelt. Die Klinikleitung will nun, dass diese Überstunden so rasch als möglich abgebaut werden und erlässt eine Weisung:

Künftig darf die Teamleitung eingeplante Hebammen vom Dienst befreien und sie als Pikett einplanen. Während der Zeit auf Pikett soll die betroffene Angestellte Überstunden abbauen.

Pikettdienst gilt als bezahlte Arbeitszeit

«Geht das wirklich?», möchte eine der betroffenen Hebammen wissen. So könne sie mit ihrer Freizeit nicht viel anfangen. Erstens kämen die Anordnungen am gleichen Tag, also sehr kurzfristig, und zweitens müsse sie sich ja für einen Einsatz bereithalten, könne also zum Beispiel nicht verreisen.

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Rechtsexpertinnen Raphaela Reichlin und Gabriela Baumgartner
Legende: Gabriela Baumgartner und Raphaela Reichlin Quelle: SRF Oscar Alessio / Roberto Crevatin

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Der Einwand der Hebamme ist berechtigt. Die Anordnung des Spitals widerspricht aus verschiedenen Gründen den gesetzlichen Bestimmungen im Obligationen- und Arbeitsgesetz. 

  1. Beim Pikettdienst muss sich eine Angestellte für Einsätze zur Verfügung halten. Sie kann über diese freie Zeit also nicht gleich verfügen, wie über einen freien Tag oder über Ferien. Pikettdienst im Betrieb gilt als Arbeitszeit und muss entsprechend bezahlt werden. Beim Pikettdienst ausserhalb des Betriebes muss zwingend ein Einsatz und der Weg zum Einsatzort entschädigt werden. Die Rufbereitschaft ist nach Bundesgericht ebenfalls zu entschädigen. Möglich ist es, die Rufbereitschaft im Grundlohn einzuberechnen oder sie mit einem tieferen Ansatz zu entschädigen als die gewöhnliche Arbeit.
  2. Überstunden dürfen nur in Ausnahmefällen mit Freizeit kompensiert werden. Laut Gesetz sind Überstunden mit «Freizeit gleicher Dauer» zu entschädigen. Aber nur, wenn die Angestellte und der Arbeitgeber damit einverstanden sind. Nötig ist dazu eine entsprechende Abmachung im Arbeitsvertrag. Ansonsten müssen Überstunden finanziell abgegolten werden.
  3. Überstunden müssen in einem «angemessenen» Zeitraum abgebaut werden. Ob darunter wenige Monate oder mehr als ein Jahr zu verstehen sind, ist gesetzlich nicht geregelt. Die Gerichte stellen auf die Umstände des Einzelfalls ab. Einigkeit herrscht hingegen darüber, dass eine Angestellte die durch die Kompensation gewonnene freie Zeit sinnvoll planen und nutzen können müsse. Beides ist im Beispiel der Hebamme nicht möglich, wenn sie erst am gleichen Tag erfährt, dass sie am Nachmittag Pikettdienst leisten muss. Weder kann sie ihre Freizeit planen noch kann sie frei darüber verfügen.

Espresso, 7.11.24, 8:10 Uhr

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