Corona hat so manche Ferienpläne auf den Kopf gestellt, Reisen ins Ausland sind schwieriger und unvorhersehbarer geworden. Doch warum in die Ferne schweifen wollen, wenn wir doch selbst unzählige Schätze an Lebensräumen und Arten haben? «Mission B» und stellt euch ausgesuchte Ausflugsziele zu Schweizer Hotspots der Biodiversität zusammen. Denn, wie sagt SRF-Reporterin Lea Saager? «In brennender Hitze einen Liegestuhl am Strand reservieren ist so 2019 – dieses Jahr entdecken wir heimische Orchideenfelder und jagende Pflanzen!»
Schluchten: Abtauchen in kühle Refugien
Die klassischen Schweizer Ausflugsziele zielen auf Höhe, Gipfel und Pässe. Wer Massen und Hitze ausweichen will, taucht stattdessen in die Tiefe ab. In Schluchten – der Neuenburger Areuse-Schlucht, der Aareschlucht bei Meiringen oder der Tüfelsschlucht als einer der schönsten Juraschluchten – ist es feucht und schattig und zum Wandern wunderbar kühl. Ideale Bedingungen für Farne und Moose wie sie schon vor Millionen vor Jahren auf der Erde waren. Entsprechend scheint hier unten die Zeit still zu stehen und unser Puls fährt automatisch herunter.
Wer mit etwas Geduld und einer Lupe auf Moos-Pirsch geht, entdeckt einen wilden Formen- und Farbenreichtum: Über 1000 verschiedene Moose gibt es bei uns. Einige haben wild gekräuselte Blättchen, andere glänzen silbrig weiss oder sind von zarten Sporenkapseln gekrönt.
Ob Trientschlucht bei Martigny, Viamala-Schlucht am Hinterrhein oder ob «Grand Canyon der Schweiz», der Rheinschlucht, spektakuläre Landschaften kann man auch von unten geniessen.
Hochmoore: Extreme für Überlebenskünstler
«Man fühlt sich fast wie in Skandinavien», sagt der wissenschaftliche Koordinator der UNESCO-Biosphäre Entlebuch über die Hochmoore im Naturpark. Dank den lichten Föhrenwäldern, dem Untergrund aus weichem Torfmoos und den Wollgräsern mit schneeweissem Schopf fühlt man sich dem hohen Norden plötzlich ganz nah.
So schön sie auch sind, in Hochmooren überleben nur Arten, die mit Extrembedingungen wie immer feuchten, sauren Böden und Nährstoffarmut umgehen können. Etwa der rundblättrige Sonnentau, der sich seine Nährstoffe erjagt: Seine Blätter sind bedeckt von klebrigen Tentakeln, die zur tödlichen Falle für Insekten werden.
Arktische Smaragdlibellen, Heuschrecken namens Warzenbeisser, ganze Felder von Orchideen – Flach- und Hochmoore halten viele Überraschungen bereit. Wer richtig tief in das Skandinavien der Schweiz eintauchen möchte, erkundet zwischen Rothenturm und Biberbrugg eine unserer grössten zusammenhängenden Moorlandschaften oder absolviert im Entlebuch in fünf Tagesetappen den «Moorlandschaftspfad». Richtig hautnah ans Moor heran kommt man im Toggenburg, auf dem Barfusspfad der Moorlandschaft Wolzenalp.
Alpen: Juwelen im Geröllfeld
Hoch oben in den Geröllfeldern des Vanil Noir in den Freiburger Alpen oder der Vorderen Spillgerte im Berner Oberland wächst ein schneeweisser Mohn. Seine grossen, zarten Blüten thronen auf grazilen Stängeln und trotzen herabfallenden Steinen und eiskalten Wintern.
Als Relikt der Eiszeit kann der Westliche Alpenmohn nur dort wachsen, wo es kühl und der Winter lang ist. Doch mit dem Klimawandel wird es bei uns immer wärmer und der Lebensraum für den seltenen Alpenbewohner schrumpft. Forscher befürchten, dass er bis Ende des Jahrhunderts aus unserer natürlichen Landschaft verschwinden könnte.
Wer sich auf die Suche nach dem Westlichen Alpenmohn macht, hat gute Chancen, auch Steinböcken, Bartgeiern oder Gämsen zu begegnen. Aber Achtung: Den Aufstieg ans Vanil Noir oder die Spillgerten sollten nur geübte Alpinwanderer wagen. Wer den Westlichen Alpenmohn ganz gefahrlos von Nahem sehen möchte, dem empfehlen wir die Dokumentation «Unsere wilde Schweiz: Das Vanil Noir» von 3sat.
Auen: die Regenwälder der Schweiz
Natürliche Flüsse legen sich in grosse Schlaufen, bilden Nebenarme, überschwemmen anliegende Auenwälder und unterspülen Ufer. Die Aue, also die vom Fluss geprägte Landschaft, ist so artenreich, dass man sie auch als «Regenwald» bezeichnet. Auf Kiesinseln brüten seltene Flussuferläufer, Uferschwalben graben mit ihren Füssen Niströhren in hohe Steilufer und im Auenwald findet der Biber Weiden und Pappeln für seine Dämme.
Doch wir haben viele unserer Flüsse gezähmt, ihre Ufer befestigt und sie kanalisiert. Die Auenlandschaften wurden zerstört, und mit ihnen verschwand eine grosse Anzahl Tier- und Pflanzenarten. Unberührte Flüsse erleben, kann man in der Schweiz nur noch an wenigen Orten. Für alle, die wissen wollen, wie ein natürlicher Fluss aussieht, empfiehlt sich ein Ausflug an die Sense zwischen Bern und Freiburg oder ins Valle Maggia zwischen Bignasco und Maggia.
Renaturierungsprojekte: Artenschutz und Naherholung
Weil die Auen so wertvoll sind, arbeiten Bund und Kantone daran, sie wiederherzustellen. Erste Erfolge dieser Renaturierungsprojekte stellen sich ein, etwa in den Thurauen im Zürcher Weinland. Schon drei Jahre nach Beginn der Renaturierung tauchte dort ein seltener Gast wieder auf: der Flussregenpfeifer. Aber auch wir Menschen profitieren von den neu geschaffenen Naherholungsgebieten, wie etwa dem Naturschutzgebiet Chly Rhy im Aargauer Rietheim oder dem Reussuferweg zwischen Bremgarten und Mellingen im Kanton Aargau.
Vögel beobachten: wo die Geier kreisen
Jetzt im Sommer ist das Brutgeschäft bei einigen Vögeln vorbei – sie werden stiller, gehen in die Mauser und sind nicht mehr so einfach zu beobachten. Livio Rey von der Vogelwarte Sempach empfiehlt deshalb: raus an die grossen Seen.
Etwa ans Südufer des Neuenburgersees, der Grande Cariçaie, wo man ursprüngliche Sandstrände findet, aber auch ausgedehnte Schilfgebiete, in denen sich die Vögel wohlfühlen. Auch ein Besuch auf dem Jaunpass im Berner Oberland lohnt sich, sagt Livio Rey, denn dort ziehen im Sommer manchmal Geier ihre Kreise.