Zum Inhalt springen

Radstar Reusser über Wandel «Davor dachte ich: ‹Ich bin Herrin über meinen Körper›»

Nach einem Seuchenjahr mit u.a. Long Covid strahlt Marlen Reusser wieder Zuversicht aus. Im «Sportpanorama» spricht sie über den Lerneffekt einer Phase der Ohnmacht.

Marlen Reusser, lange Zeit ungebremste Aufsteigerin auf dem Rad nach ihrem späten Einstieg 2019 ins Profigeschäft, erlebte heuer ein Jahr zum Vergessen. Sportlich passte wenig zusammen, weil der Körper streikte und sie ernsthafte gesundheitliche Probleme beklagte.

Dabei hatte die Saison 2024 mit dem Gesamtsieg bei der Valencia-Rundfahrt im Februar verheissungsvoll begonnen. Doch spätestens seit dem Sturz an der Flandern-Rundfahrt war der Wurm drin. Die Bernerin musste der Reihe nach auf die Tour de Suisse, die Olympischen Sommerspiele in Paris und die Heim-Strassen-WM in Zürich im September verzichten.

Ein Jahr zum Vergessen also? «Nein», findet Reusser bei ihrem Besuch am Sonntag im «Sportpanorama» . «Es mag pathetisch klingen. Doch ich habe so vieles gelernt und entdeckt. Natürlich sind da zwei Grossanlässe, die ich verpasst habe. Aber da ist eben auch ein Riesen-Paket an Erfahrungen.»

Bitter – und doch kam sie vergleichsweise gut weg

Reusser erkrankte schon im Februar an Covid. Spätestens im Sommer spitzte sich die Situation enorm zu: An Spitzensport war überhaupt nicht mehr zu denken, selbst im täglichen Leben waren die Hürden gross. Mittlerweile ist die Weltnummer 3 aus dem Vorjahr wieder genesen und guten Mutes zurück.

Auch darum relativiert sie ihr Schicksal: «Es gibt Leute, die leiden über mehrere Jahre an Long Covid. Ich dagegen bin trotz allem glimpflich davon gekommen. Die 33-Jährige verschweigt aber nicht, dass es für sie schwierig und kaum auszuhalten war, als sie erkennen musste, dass sich all ihre sportlichen Ziele in Luft auflösten.

Man wurde ständig neu enttäuscht – und zwar genau dann, wenn wieder neue Hoffnung aufflammte.
Autor: Hendrik Werner Reussers Coach und Lebenspartner

«Davor dachte ich immer: ‹Ich bin Herrin über meinen Körper› und kriege irgendwie alles hin. In unserem Business ist es auch Bedingung, dass man stets optimistisch bleibt. Doch irgendwann musste ich meine Situation verstehen und akzeptieren», erinnert sie sich an den bitteren Moment.

Statt begeisterungsfähig einfach abgemeldet

Im SRF-Studio wohnte auch Hendrik Werner der Sendung bei, Reussers Coach und Lebenspartner. Den schwierigen Prozess schildert er in der Rückblende so: «Man wurde ständig neu enttäuscht – und zwar genau dann, wenn wieder neue Hoffnung aufflammte. Es herrschte ein Gefühl der Machtlosigkeit, auch darum, weil sich die Länge dieses Prozesses überhaupt nicht abschätzen liess.»

Werners folgende Worte lassen erahnen, welche Leidenszeit hinter dem Paar liegt. «Jeder weiss, wie begeisterungsfähig Marlen sein kann. In dieser Zeit aber war sie ein Stück weit abgeschlossen wie in einem behinderten Körper», sagt Werner.

Mit neuem Mut und neuem Team

Als studierte Medizinerin fand Reusser den Zugang zur Hypnose und so einen Ausweg. In ihren Worten klingt der ganze Wandel so: «Es ging darum, die eigene Software neu zu programmieren.»

Mittlerweile strotzt sie wieder vor Tatendrang, auch wenn Fragezeichen zurückbleiben werden. Im Sport sind die Perspektiven ebenso wegen eines Teamwechsels neu. Die Olympia- und WM-Silbergewinnerin im Zeitfahren wechselte als Leaderin zur spanischen Equipe Movistar und verlegt ihren Lebensmittelpunkt nach Andorra.

Sie freue sich auf diesen Schritt, ihre neue Rolle und das neue Umfeld. Im Gespräch mit Rainer Maria Salzgeber gibt Reusser zu verstehen, dass sie niemandem etwas beweisen müsse. «Viel mehr ist mein Antrieb, dass ich einfach noch grosse Lust verspüre am Radsport und darauf, mich zu verbessern.» Deshalb brennt sie geradezu auf das neue spannende Projekt und auf die weitere Suche, sich physisch auf ein absolutes Top-Niveau zu bringen.

SRF zwei, Sportpanorama, 22.12.2024 18:00 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel