«Wie gut schützt mich mein Immunsystem im Moment vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus?» Die Frage treibt Ungeimpfte seit Monaten ebenso um wie Covid-19-Genesene.
Und Geimpfte fragen sich mit Blick auf die bald endende Gültigkeitsdauer der ersten ausgestellten Zertifikate: «Würde es nicht Sinn machen, vor einer erneuten Impfung einen Antikörpertest zu machen, um herauszufinden, wie gut wir noch immunisiert sind?» Den dritten Piks könnte man sich ja sparen, wenn das Immunsystem noch fit genug ist.
Entsprechende Fragen wurde im «Puls»-Chat Anfang September gestellt. Und es meldeten sich dort auch Fragesteller zu Wort, die bereits einen solchen Test gemacht hatten – die Resultate aber wenig aussagekräftig fanden. «Da ist herausgekommen, dass es etwa 1500 Antikörper hat», schrieb zum Beispiel Roberto Rizza. «Aber was heisst das ohne Richtwerte?»
«Da liegt genau das Problem», bestätigt Immunologe Christian Münz, Leiter Immunologie der Taskforce des Bundes, auf Anfrage des SRF-Gesundheitsmagazins «Puls». Von Antikörpertests zur Feststellung des Immunstatus hält er nicht viel. «Der Test an sich ist recht einfach durchzuführen, aber den Level der im Serum gefundenen Antikörper als ‹schützend› oder ‹nicht schützend› einzustufen, ist im Moment noch sehr schwierig.»
Das Problem ist nicht nur der fehlende Schwellenwert. Es gibt auch keinen standardisierten Test. Antikörper-Bluttests werden von Labors, Apotheken und Hausarztpraxen in zahlreichen verschiedenen Formen angeboten – alle mit ihrer eigenen Werte-Skala.
Wird es einmal den Grenzwert geben, der eine Art «Immunstatus» für alle definiert?
Britische und australische Forschende haben sich zwar bereits bemüht, herauszufinden, welches Mass an Antikörpern einen Schutz vor Covid-19 bedeutet. Die Werte sind aber für die Impfstoff-Forschung gedacht. Und sie erlauben laut den Studienautoren ausdrücklich keine Rückschlüsse darauf, ob eine einzelne Person geschützt ist oder nicht.
Christian Münz weist auf eine zentrale Herausforderung hin: «Es geht dabei nicht um eine Ja-Nein-Aussage, sondern um eine quantitative Aussage: Wie viele Antikörper braucht man tatsächlich, um geschützt zu sein?» Die verschiedenen eingesetzten Tests müssen deshalb auch standardisiert werden, um zu vergleichbaren Ergebnissen zu kommen. «Und dann müsste man sich über mehr experimentelle und klinische Studien auf einen Wert festlegen.»
Er ist aber zuversichtlich, dass man sich mit der Zeit auf einen Wert einpendeln wird, der für die meisten Personen aussagekräftig ist.
Sind Genesene schlechter geschützt als Geimpfte?
Auch wenn die Frage des Grenzwerts noch nicht abschliessend geklärt ist: Im Alltag hat sie bereits konkrete Auswirkungen.
Zum Beispiel für Bettina Ringger, die im Frühjahr eine milde Corona-Erkrankung durchgemacht hat und nun vor der Tatsache steht, dass ihr Zertifikat als Genesene demnächst abläuft. Nach sechs Monaten und nicht wie bei Geimpften erst nach zwölf. Das findet sie ungerecht: «Es gibt Studien, die sagen, dass Genesene besser geschützt sind als doppelt Geimpfte. Aber jetzt reden alle nur vom Impfen!»
Noch im Juni dieses Jahres hielt die Schweizer Covid-Wissenschafts-Taskforce fest, dass der Schutz nach einer Infektion kürzer sei als nach einer Impfung.
Ist die kürzere Gültigkeitsdauer wissenschaftlich noch gerechtfertigt? Monica Gandhi, Infektiologin an der University of California in San Francisco, sagt: nein. «Der aktuelle Wissensstand ist widersprüchlich. Wir haben sowohl Daten in die eine wie in die andere Richtung. Es gibt also Studien, die zeigen, dass sich Genesene seltener wieder anstecken als Geimpfte. Und es gibt Studien, die zeigen, dass sich Genesene häufiger anstecken als Geimpfte.»
Bei dieser Datenlage müsste man die Zertifikatsdauer von Geimpften und Genesenen eigentlich angleichen, sagt heute auch Christian Münz, der die Einschätzung der Taskforce damals im Juni mitverfasst hatte. Doch wie lange sollten dann die beiden Zertifikate gelten? Das komme auf den Zweck des Zertifikats an: «Soll es etwas über den Schutz vor schweren Infektionen aussagen, könnten die Zertifikate der Genesenen tatsächlich verlängert werden.» Wenn man es aber so einsetzen möchte, dass es zu keinen Ansteckungen kommt, «dann müsste man wohl die Zertifikatdauer der Geimpften etwas heruntersetzen.»
Zertifikat hin oder her: Christian Münz wie Monica Gandhi raten Genesenen zu einer Impfdosis. Damit seien sie noch besser geschützt.
Bettina Ringgers Frust über ihr früher ablaufendes Zertifikat kann die Infektiologin Monica Gandhi dennoch verstehen: «Wir möchten das Vertrauen in die öffentliche Gesundheitsversorgung steigern, aber gewisse Entscheidungen haben eher Misstrauen geweckt. Etwa, dass wir die natürliche Immunität zu wenig anerkennen.»