In den 1980er und 90er Jahren fordert die offene Drogenszene in Zürich hunderte von Toten. Im «Needle Park» am Platzspitz und später am Letten sterben suchtkranke Menschen an Heroin-Überdosen.
Nun sorgen sich Schweizer Suchtmedizinerinnen und -mediziner vor einer nächsten Opioid-Welle. Sie fordern eine Reihe von Massnahmen. Diese halten sie in einem Positionspapier fest, das noch nicht veröffentlicht wurde. In den Fokus stellen sie insbesondere das aus der US-amerikanischen Opioid-Krise bekannte Fentanyl sowie die sogenannten Nitazene.
Die hochgefährlichen Heroin-Schwestern
Fentanyl ist ein synthetisch hergestelltes Opioid. Das Schmerzmedikament wirkt ungefähr 50-mal so stark wie Heroin und kommt etwa in der Anästhesie zum Einsatz. Manche Nitazene, ebenfalls synthetisch hergestellte Opioide, wirken teilweise noch stärker.
Marc Vogel sitzt im Vorstand der Schweizerischen Gesellschaft für Suchtmedizin SSAM und ist Chefarzt am Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel. Vogel befürchtet, dass das Fentanyl und die Nitazene auch auf dem Schweizer Drogenmarkt auftauchen werden.
Mit einer Drogenepidemie wie in den USA rechnet er aber nicht. «Wir haben in der Schweiz in Bezug auf die Opioidabhängigkeit immer noch das beste Behandlungssystem weltweit.» Dennoch: Eine Ausbreitung der synthetischen Opioide könne fatale Folgen haben. «Wir haben grosse Angst vor dieser Opioid-Welle, weil wir davon ausgehen, dass diese stärkeren Opioide mit viel mehr Überdosistoten einhergehen als das ‹normale› Heroin», so Vogel.
Angenommen, hochpotente synthetische Opioide verbreiten sich tatsächlich bald auf dem Schweizer Schwarzmarkt: Ist die Schweiz darauf vorbereitet? Die Suchtexpertinnen und -experten der SSAM finden: Da geht noch mehr.
Forderung nach Massnahmen
Zwar werde an kantonalen Massnahmen gearbeitet. Doch die Gesellschaft für Suchtmedizin hätte gerne ein nationales Massnahmenpaket, initiiert und koordiniert durch das Bundesamt für Gesundheit BAG.
Eins von vielen Beispielen: Vogel und die SSAM fordern eine bessere Überwachung des Schweizer Drogenmarkts. Heute gibt es keine verlässlichen Trendzahlen zum Freizeitkonsum von Fentanyl und den Nitazenen in der Gesamtbevölkerung. Das BAG überwacht zwar den Gesamtverbrauch von Opioiden mittels Abwasserstudien. Doch die Fentanyl-Mengen im Abwasser sind zu klein um diese zu messen und für die Nitazene gibt es gemäss BAG noch keine Messmethode.
Sind wir also schlecht vorbereitet? Das BAG schreibt: «Die 4-Säulen-Suchtpolitik mit den Pfeilern Prävention, Therapie, Schadensminderung und Repression/Regulierung ist wirksam. Und sie funktioniert auch dann, wenn neue Substanzen auftauchen.» Suchtthemen entwickeln sich aber dynamisch, so das BAG: «Akute Ereignisse, wie zum Beispiel ein rasanter Anstieg des Fentanylkonsums können im Vorfeld schlecht gesteuert werden.» Entsprechend arbeite das BAG aktuell mit anderen Akteuren wie den Kantonen zusammen, etwa um Massnahmen zu überprüfen und wo nötig anzupassen.
Ob vorhandene Massnahmen ausreichen – bereits vorhandene Konsumräume und Behandlungszentren etwa – wird sich zeigen, falls es tatsächlich zu einer Opioid-Welle in der Schweiz kommen sollte.