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Gestörter Schlaf Gute Nacht, Schweiz? Ein Trick soll beim Abschalten helfen

«Cognitive Shuffling» heisst die Methode, die das Gehirn mit Belanglosem füttert, um Grübeleien zu stoppen. Klingt seltsam – könnte aber wirken.

Liegen Sie oft nachts wach und haben keine Lust mehr, Schafe zu zählen? Dann probieren Sie es mal mit einem beliebigen Wort – zum Beispiel «Baum». Stellen Sie sich ein paar Sekunden lang eine passende Szene vor. Dann nehmen Sie jeden Buchstaben des Wortes und denken sich dazu zusammenhangslose Begriffe aus. Also nach B wie Baum, A wie Ananas, U wie Uhu, M wie Marathon.

So entsteht eine zufällige Bildershow, die das Gehirn mit Belanglosem füttert – und dadurch vom Grübeln abhält. Dieses Prinzip des «Cognitive Shufflings» geht auf den kanadischen Kognitionspsychologen Luc P. Beaudoin zurück.

Während die Methode auf Social Media Anklang findet, ist sie unter Fachleuten in der Schweiz bisher wenig bekannt. Doch die Grundidee ist nicht neu: «Es gib ähnliche Ansätze aus den 1980ern und 1990ern, die auch da ansetzen: durch visuelle Vorstellung das Gedankenkarussell zu stoppen», sagt Salome Kurth, Neurowissenschaftlerin und Schlafforscherin an der Universität Freiburg.

Stress unterdrücken stresst

Auch eine theoretische Erklärung, warum wir überhaupt in solche Karussells kommen, stammt aus den Neunzigern: die Theorie der ironischen Prozesse. Sie besagt, dass der Versuch, bestimmte Gedanken oder Verhaltensimpulse zu unterdrücken, paradoxerweise dazu führt, dass sie noch stärker ins Bewusstsein treten.

Im Kontext von Schlafproblemen ist dieser Mechanismus besonders ungünstig: «Gedanken an stressige Situationen oder unerledigte Aufgaben drängen sich dann erst recht auf.» Die Aufgabe des «Cognitive Shufflings» wirke dem entgegen: Sie sei einfach genug, um nicht zu überfordern, aber fordernd genug, um das Gehirn zu beschäftigen – ohne Raum für Sorgen zu lassen.

Was ist Insomnie?

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Schlaflose Frau in Bett
Legende: imago images

Von Insomnie spricht man, wenn Menschen über längere Zeit nicht ein- oder durchschlafen können – obwohl sie eigentlich die Gelegenheit dazu hätten. Die Einschlafzeit zieht sich, das nächtliche Aufwachen häuft sich, oder der Schlaf wird als wenig erholsam empfunden. Entscheidend ist nicht nur, wie lange jemand schläft, sondern wie sehr die Schlaflosigkeit den Alltag beeinträchtigt.

Laut Definition gilt eine Insomnie dann als chronisch, wenn die Probleme mindestens drei Nächte pro Woche über einen Zeitraum von drei Monaten bestehen – und nicht die Folgen anderer körperlicher oder psychischer Erkrankungen sind.

Die Ursachen sind vielfältig: Stress, unregelmässige Schlafzeiten oder schlechte Schlafgewohnheiten – etwa der Griff zum Handy im Bett oder spätes Essen.

Der Schlafmediziner Philipp Valko beobachtet zudem: «Wer viel über guten Schlaf weiss und ihn kontrollieren will, setzt sich oft zusätzlich unter Druck – das kann sich ins Gegenteil verkehren.» Denn Einschlafen lasse sich nicht erzwingen. «Besonders Perfektionistinnen und Perfektionisten geraten so in einen Teufelskreis, in dem der Optimierungsdrang den Schlaf erst recht verhindert.»

Dass unser Gehirn ständig Gedanken produziert, ist kein Fehler, sondern ein evolutionärer Mechanismus, sagt Philipp Valko, Neurologe und Schlafmediziner an der Klinik Hirslanden Zürich: «Was uns früher beim Überleben geholfen hat – etwa um Gefahren früh zu erkennen oder genügend Nahrung zu beschaffen – stört uns heute oft beim Einschlafen.»

Schlaf hat keinen Schalter

Eine Herausforderung kommt hinzu: «Der Übergang vom Wachzustand in den Schlaf funktioniert nicht wie ein Lichtschalter, der abrupt umgelegt wird», sagt Valko. «Die Hirnregionen gleiten nicht gleichzeitig in den Schlaf über. Und einige bleiben auch während des Schlafs aktiv.»

Schlafwahrnehmung: Wir unterschätzen unsere Nächte

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Messung im Schlaflabor
Legende: imago images

Viele Menschen mit Schlafproblemen sind überzeugt, kaum geschlafen zu haben – doch objektive Messungen zeigen ein anderes Bild. Eine Studie aus Deutschland belegt, dass Menschen mit Insomnie ihre nächtliche Schlafdauer im Durchschnitt um eineinhalb bis zwei Stunden unterschätzen. In einer grossen australischen Online-Erhebung mit über 1600 Teilnehmenden lagen die Abweichungen zwischen gefühltem und protokolliertem Schlaf bei bis zu drei Stunden.

Neurologe und Schlafmediziner Philipp Valko kennt dieses Phänomen aus dem Schlaflabor: «Wenn Patienten mehrfach kurz wach werden, dann haben sie jeweils das Gefühl, die ganze Nacht wachgelegen zu sein – auch wenn objektiv mehrere Stunden Schlaf zusammenkommen.» Das Problem dabei: Die kurzen Wachphasen werden viel intensiver erinnert als der leichte Schlaf dazwischen. «So entsteht subjektiv der Eindruck: Ich habe gar nicht geschlafen», erklärt Valko. «Diese Wahrnehmung kann enorm belastend sein – da sie den inneren Druck verstärkt, endlich schlafen zu müssen.»

Bevor wir tief schlafen, durchlaufen wir einen hypnagogen Zustand – eine Art mentale Zwischenwelt, in der die bewusste Kontrolle über das Denken abnimmt, während spontan Bilder, Geräusche oder Bewegungsimpulse auftauchen. Die Inhalte sind meist flüchtig und bruchstückhaft.

Genau diesen Zustand ahmt das kognitive Durchmischen nach. Kein Zufall also, dass man sich dabei Bilder vorstellen soll – denn in dieser Phase ist das Gehirn besonders empfänglich für visuelle Eindrücke, wie fMRT-Studien zeigen. Das bewusste Hervorrufen harmloser Bilder könnte also tatsächlich einen Übergang in den Schlafmodus erleichtern.

Allerdings ist die wissenschaftliche Evidenz für das «kognitive Shuffling» noch begrenzt. Trotzdem: «Es kann nicht schaden, die Methode auszuprobieren», sagt Kurth, «solange sie als Ergänzung zu evidenzbasierten Verfahren gesehen wird – etwa zur kognitiven Verhaltenstherapie bei Insomnie.» Zudem sei es eine Technik, die man sich aneignen muss. «Wer nach zwei Minuten aufgibt, merkt wahrscheinlich noch keinen Effekt.»

Wie schlecht die Schweiz schläft – und was sie dagegen tut

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Angebrochene Tablettenpackung
Legende: imago images

Etwa jede dritte Person in der Schweiz schläft schlecht – das geht aus der letzten Gesundheitsbefragung im Jahr 2022 hervor. Über die letzten 25 Jahre ist der Anteil der Betroffenen klar gestiegen – besonders bei jungen Menschen und generell bei Frauen. Wer schlechter schläft, greift teils auch häufiger zur Pille. Laut einer Recherche von «20 Minuten» bezogen 18- bis 29-Jährige im Jahr 2023 rund 16 Packungen Schlaf- und Beruhigungsmittel pro 100 Versicherte bei der Krankenkasse Swica – fast zehn Prozent mehr als 2021.

Daten aus dem Monitoring-System MonAM, das im Auftrag des BAG geführt wird, bestätigen diesen Trend: Jugendliche und junge Erwachsene greifen im Jahr 2024 leicht häufiger zu Schlaf- und Beruhigungsmitteln als noch zwei Jahre zuvor. Am häufigsten greifen weiterhin Menschen über 70 zu Schlafmedikamenten – Frauen deutlich häufiger als Männer.

In der Gesamtbevölkerung ist jedoch eine andere Entwicklung zu beobachten: Die regelmässige Einnahme von Schlaf- und Beruhigungsmitteln ist leicht rückläufig. Das belegt auch eine etwas ältere Studie des Universitätsspitals Bern und der Universität Zürich im Auftrag des BAG: Schlafmedikamente wie Benzodiazepine wurden im Jahr 2018 im Vergleich zu 2013 seltener und weniger lange verschrieben.

Der Schlafmediziner Philipp Valko ordnet ein: «Schlafmittel setzen wir heute sehr zurückhaltend ein – nur in akuten Notfällen oder in sehr tiefen Dosierungen.» Die moderne Schlafmedizin setze stattdessen auf Verhaltenstherapie. Entscheidend seien dabei Strategien, so Valko, «die den Betroffenen helfen, wieder Vertrauen in ihren natürlichen Schlaf zu entwickeln.» Das wirke nachhaltiger als jede Tablette.

Musikwelle Magazin, 7.4.2025, 11:20 Uhr

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