Wieso tue ich mir das an? Das frage ich mich um 3.30 Uhr in einer Sonntagnacht. Ich liege wach im Bett und nerve mich. Darüber, dass ich am Vorabend zu viel Wasser getrunken habe und jetzt aufs WC muss. Und darüber, dass Hunger dazukommt. In einer normalen Nacht wäre das halb so wild. Aber ich bin mitten in einem Schlafexperiment.
In anderthalb Stunden muss ich sowieso aufstehen und den Tag starten. Als einer, der nicht schnell wieder einschläft, kann ich also gleich aufstehen. Ich stehe am Anfang eines Schlafexperiments des SRF-Wissensmagazins «Einstein» – und ich lerne soeben eine wichtige Lektion: weniger trinken am Vorabend und mehr essen. Denn noch so eine Nacht kann ich mir nicht leisten.
Ab ins Schlaflabor
Mein Schlafexperiment beginnt im Schlaflabor des Zentrums für Chronobiologie in Basel. Als Nachteule soll ich zum Frühaufsteher umgepolt werden. Denn sie gelten gemäss der Wissenschaft als produktiver und leistungsfähiger. Ob das auch auf mich zutrifft, will ich herausfinden. Dafür übernachte ich ein erstes Mal im Labor, unter Aufsicht des Chronobiologen Christian Cajochen. Ihn interessiert vor allem, ob die Umstellung funktioniert und welche Auswirkungen sie auf mich hat.
Dafür werden verschiedene Parameter gemessen: Hirnströme, Reaktionszeit am Abend und am Morgen sowie mein Melatoninwert. Dieses Hormon steuert den Schlaf-Wach-Zyklus. Genau das messen wir in zwei Wochen nochmals, um herauszufinden, ob sich mein Körper tatsächlich umgestellt hat. Kleiner Spoiler: Das Resultat wird mich und den Professor überraschen.
Leistungsfähig schon am frühen Morgen
Produktivität in den Morgenstunden: Traum oder Trugschluss? Ab jetzt verändert sich mein Leben komplett: Um 5 Uhr aufstehen und um 21 Uhr ins Bett gehen – das ist die neue Routine. Doch schaffe ich es auch, dabei produktiv zu sein?
An diesem Wochenende steht ein CAS-Weiterbildungsmodul an, denn ich werde Naturpädagoge. Den Samstagmorgen nutze ich zum Arbeiten. Einerseits bereite ich eine Präsentation für den Kursabend vor, andererseits mache ich Büroarbeit für meine eigene Firma, die Exkursionen, Workshops und Vorträge über Insekten anbietet.
Den Vorteil des frühen Arbeitens merke ich schnell: Ich habe meine Ruhe und komme gut voran. Keiner ist wach und keine ruft mich an. Bis ich zum Telefon greife und jemanden anrufen will – um 6.13 Uhr? Schwierig. Was ich gerne erledigt hätte, muss ich verschieben. Das ärgert mich. Von wegen produktiver. Aber: Ich bin recht leistungsfähig. Und es wird noch besser.
Morgensport: vom Zweifel zum Energieschub
Zurück im Alltag, befolge ich einen Tipp des Schlafexperten Cajochen: «Treiben Sie Sport am Morgen. Das hilft, um in den Tag zu starten.» Um 7 Uhr stehe ich mit kleinen Augen und langen Jogginghosen draussen.
Der Start ist harzig, und ich bin skeptisch. Es ist einfach nicht meine Zeit, und ich frage mich erneut: warum?
Ein paar Minuten später macht sich ein unerwartet gutes Gefühl breit. Ich spüre einen Energieschub, dann noch einen schönen Sonnenaufgang und ich grinse vor mich hin. Nach 30 Minuten joggen komme ich stolz zu Hause an. Und siehe da – die Energie hält bis am Mittag an: Ich bin leistungsfähiger als gedacht, lege mich für gut zehn Minuten hin, bin dann bis zum Feierabend um 15 Uhr wieder leistungsfähig und staune. Der Professor hatte recht.
Bin ich wirklich produktiver – oder nur ehrgeizig?
Auch mein Rhythmus verändert sich. Ich werde früher hungrig, früher müde und wache einmal von selbst um 5 Uhr auf. Doch nicht immer schlafe ich gut. Gleichzeitig treibt mich das Experiment an, und ich erkenne ein Muster, von dem der Professor erzählt hat: «Sleep Machismo.» Das bedeutet, dass Menschen – meist Männer – vorgeben, sehr wenig Schlaf zu brauchen und trotzdem voll leistungsfähig zu sein.
Als er mir davon erzählte, habe ich darüber gelächelt. Doch jetzt frage ich mich: Bin ich wirklich so leistungsfähig oder tue ich nur so, weil ich gut dastehen will? Noch habe ich keine Antwort darauf. Aber sich dessen bewusst zu sein, ist immerhin ein erster Schritt.
Darüber schlafen: Wie der Kopf nachts Probleme löst
In der Halbzeit des Experiments wartet eine besondere Aufgabe auf mich: mein persönliches Highlight. Im Schlaflabor der Universität Freiburg finde ich heraus, ob mein Hirn im Schlaf Probleme lösen kann: Ich spiele ein Videospiel bis zu dem Punkt, an dem ich nicht mehr weiterkomme. Ich bringe die Spielfigur einfach nicht ins Ziel, stets ist irgendeine Kiste im Weg.
Professor Björn Rasch schickt mich ins Bett und ist überzeugt: «Ihr Hirn wird sich jetzt mit dem Problem auseinandersetzen. Die Chance, dass Sie es morgen lösen können, liegt bei 70 bis 80 Prozent.»
Ich fühle mich ein bisschen unter Druck, bin skeptisch, und obendrein schlafe ich in dieser Nacht nicht wirklich gut.
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Bild 1 von 4. Die Lösung will und will sich nicht einstellen. Bildquelle: srf.
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Bild 2 von 4. Okay, dann halt mal drüber schlafen. Bildquelle: srf.
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Bild 3 von 4. Der Schlaf war unruhig, aber siehe da ... Bildquelle: srf.
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Bild 4 von 4. ... die Lösung ist gefunden! Bildquelle: srf.
Vom nächsten Morgen erwarte ich daher wenig. Doch beim Spielen kommt mir bereits nach rund einer Minute die zündende Idee: Die Spielfigur mit einem Kran über die Kisten hieven – und das Problem ist gelöst!
Ich schaue verdutzt in den Computer. Probleme lösen sich im Schlaf. Krass! Der Professor grinst: «An dem Spruch ‹einmal drüber schlafen› scheint tatsächlich was dran zu sein.»
Arbeit im Schichtbetrieb
Heute steht ein Reporterdienst bei der «Tagesschau» an: zwei Interviews mit zwei Nationalrätinnen an zwei komplett verschiedenen Orten in der Schweiz. Ich drehe alleine, ohne Kameramann oder -frau, bin also als Videojournalist (VJ) unterwegs. Gegen 16 Uhr wäre gemäss neuer innerer Uhr mein Tag fertig, ich werde müde und sitze zum Glück nicht am Steuer. Fertig ist mein Dienst nicht.
Eines steht fest: Zum Morgenmenschen werde ich im Schichtbetrieb mit solchen Diensten niemals. Das geht nur, wenn ich meinen Tagesablauf selbst planen kann.
Früher ins Bett, weniger Zeit für Freunde
Und noch etwas passt nicht in meinen neuen Rhythmus. Das soziale Leben. Meine Frau sehe ich zwar, aber ein gemütliches Abendessen und Plaudern? Nach SRF-Dienstschluss bin ich bestenfalls um 20 Uhr zu Hause und eine Stunde später im Bett. Na toll!
Dasselbe mit Freunden oder Hobbys. Ich kann ja schlecht darum bitten, dass das Fussballtraining neu um 16 Uhr statt um 19 Uhr beginnt.
Ich trainiere zwar mit, aber um 20 Uhr muss ich gehen. Sie kicken noch 30 Minuten weiter und nehmen noch ein Bier. Ohne mich. Und was die Weiterführung des Experiments angeht, neige ich zum gleichen Schluss: ohne mich.
Und trotzdem: Ganz zurück in mein altes Leben will ich nicht. Denn das eine oder andere hat gepasst.
Der finale Check: Anpassung geglückt?
Nach zwei Wochen bin ich ein letztes Mal im Schlaflabor. Wir messen erneut, und Professor Cajochen ist erstaunt, jedenfalls teilweise. «Sie waren leistungsfähiger als gedacht und haben sich dem Rhythmus besser angepasst als erwartet. Und Ihre Reaktionszeit hat sich am frühen Morgen verbessert.» Ja, dünkt mich auch. Es hat besser geklappt mit Aufstehen und Arbeiten, als ich dachte.
Aber die Messwerte sagen etwas anderes: Mein Melatoninwert hat sich nicht verschoben. Mein Körper will nicht um 5 Uhr aufstehen, und er hat auch keine Lust auf Lichterlöschen um 21 Uhr. Fazit: Ich bin nur oberflächlich zum Morgenmenschen geworden. «Jeder hat seine innere Uhr. Und darauf sollte man hören», so die Reaktion von Christian Cajochen. Möglich, dass ich mich mit mehr Licht – zum Beispiel im Sommer – besser an den neuen Rhythmus gewöhnt hätte.
Fest steht: Ich habe mit dem Experiment meine innere Uhr jetzt zwei Wochen lang auf den Kopf gestellt. Die nächsten Wochen werde ich nun damit verbringen, meinen Rhythmus neu zu finden. Mal etwas früher ins Bett und ein bisschen früher raus. Frühsport und dieses gute Gefühl, das möchte ich wieder erleben. Mal sehen, was der innere Schweinehund dann dazu meint.